Wikileaks: Angela Merkel weitaus mehr überwacht als bisher bekannt

Die neuesten Veröffentlichungen von Wikileaks zeigen, dass Angela Merkel wesentlich umfassender überwacht wurde als bisher bekannt. Die NSA protokollierte etwa Gespräche mit Ban Ki-Moon, Silvio Berlusconi und Nicolas Sarkozy.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 132 Kommentare lesen
Wikileaks:

(Bild: Wikileaks)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat in der Nacht zum Dienstag neue, als geheim eingestufte Dokumente veröffentlicht, die nachweisen, wie die NSA unter anderem Gespräche zwischen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und Angela Merkel im Jahr 2008 auswerteten. Außerdem bespitzelte der US-Geheimdienst den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu im Gespräch mit dem damaligen italienischen Staatschef Silvio Berlusconi. Gespräche zwischen japanischen und deutschen Diplomaten und Auseinandersetzungen zwischen Berlusconi, Merkel und Nicolas Sarkozy wurden ebenfalls abgehört.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Die neuen Dokumente lassen darauf schließen, dass im Fall von Angela Merkel unter anderem die Positionen zum Klimawandel für die USA von Interesse waren. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und Merkel tauschten sich laut dem Gesprächsprotokoll von 2008 über Ziele in der Klimapolitik aus und wie sie auf den Klimagipfel in Kopenhagen im Jahr 2009 zusteuern sollten. Beide waren sich einig, Anfang 2009 Vertreter der US-Regierung zu treffen, um deren Positionen einschätzen zu können. Im Januar 2009 wurde Obama als Präsident der USA vereidigt. Ban Ki-Moon lobte Angela Merkel ausdrücklich für ihre Rolle in Klimaverhandlungen und für ihre Überzeugungsarbeit bei EU-Kollegen. Merkel wiederum äußerte sich optimistisch, dass trotz einiger zu erwartender Schwierigkeiten beim Thema Emissionshandel Fortschritte auf einem kommenden EU-Gipfel erzielt werden könnten.

Wikileaks-Gründer Julian Assange kommentierte die Dokumente mit den Worten, dass die Gespräche von Ban Ki-Moon, der sich mit seinen Gesprächen für den Schutz des Planeten eingesetzt habe, von "einem Land ausgespäht wurden, das seine größten Ölfirmen schützen will". Assange sei neugierig, wie die Reaktion der Vereinten Nationen ausfallen wird, denn "wenn der Generalsekretär folgenlos ins Visier genommen werden kann, dann ist jeder in Gefahr – vom Staatenlenker bis zum Straßenkehrer."

Die Dokumente zeigen auch, dass die NSA im Jahr 2010 ein Gespräch zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem damaligen italienischen Staatschef Silvio Berlusconi ausspähte. Netanjahu bat Berlusconi um Unterstützung, da nach dem Bau von rund 1600 Häusern in Ostjerusalem, Friedensgespräche mit den Palästinensern in Gefahr wären. Die Schuld für den Eklat gab er einem Politiker, der mit wenig politischer Sensibilität vorgegangen sei. Zudem wies er darauf hin, dass die schlechten Beziehungen zu den USA wieder – mit Italiens Hilfe – verbessert werden müssten. Dadurch, dass er keinen direkten Kontakt zum US-Präsidenten hätte, sei die Lage erst so angespannt.

Im Jahr 2011 protokollierte die NSA über die Überwachung des italienischen Regierungsmitarbeiters Valentino Valentini ein Gespräch zwischen dem damaligen französischen Staatschef Nicolas Sarkozy, Silvio Berlusconi und Angela Merkel. Sarkozy und Merkel nahmen Berlusconi laut dem Gesprächsprotokoll hart ins Gericht. Berlusconi solle wegen der hohen Schuldenlast seines Landes endlich Reformen anstreben. Sarkozy drohte, dass das italienische Finanzsystem bald explodieren könne, wie ein Korken aus einer Champagnerflasche.

Die Dokumente der NSA zeigen außerdem, dass auch immer wieder Gespräche über den internationalen Handel und internationale Handelsabkommen wie die der Welthandelsorganisation (WTO) von Interesse waren. So überwachte die NSA im Jahr 2006 Gespräche zwischen der Europäischen Union und Japan, die sich auf die nahenden Doha-Verhandlungen bezogen. Japan und die EU versuchten sich unter anderem darauf zu verständigen, dass nicht noch einmal geheime Abkommen mit den USA angestrebt würden, wie dies 2003 in Cancun geschehen sei.

Einige der jetzt veröffentlichten Dokumente wurden von der NSA als Top Secret eingestuft, andere leitete die National Security Agency an die Auslandsgeheimdienste der Five-Eyes-Allierten (auch als Big Five bekannt) weiter; also an Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. So wurde etwa das Gespräch zwischen Netanjahu und Berlusconi zwischen den Geheimdiensten geteilt. Für die jetzt veröffentlichten Dokumente hatte die NSA 13 Telefonnummern angezapft, die zu Regierungsmitgliedern und Regierungsbüros in Österreich, Belgien, Frankreich, Italien und der Schweiz gehören. Bis auf eine der 13 gelisteten Telefonnummern sollen laut The Intercept alle noch von Regierungen genutzt werden. Manche Gespräche wurden direkt abgehört, andere NSA-Berichte wurden nach abgehörten Schilderungen von Regierungsmitarbeitern verfasst. Auch schriftliche Berichte der Regierungen könnten für die NSA-Protokolle ausgewertet worden sein.

Die Süddeutsche Zeitung sowie die Sender NDR und WDR hatten im vergangenen Jahr unter Berufung auf Wikileaks-Unterlagen berichtet, dass die NSA über Jahrzehnte hinweg das Kanzleramt ausspioniert habe. Betroffen sollen auch die Regierungen vor Merkels Amtsantritt sein. Auch über die neuen Wikileaks-Dokumente berichteten die drei gemeinsam recherchierenden Medien in der Nacht zum Dienstag zuerst. Die Enthüllungsplattform veröffentlichte die Dokumente kurz darauf. (kbe)