Der Schlüssel zu Schizophrenie liegt im Immunsystem

US-Wissenschaftler sind auf einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch von Schizophrenie und der Gehirnentwicklung von Heranwachsenden gestoßen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Adam Piore

Lange haben Forscher nach den molekularen Ursachen der Schizophrenie gesucht. Das Team um Steven McCarroll vom Stanley Center for Psychiatric Research am Bostoner Broad Institute fand die Spur nach einer groß angelegten Genstudie: Es hatte Erbgutanalysen von mehr als 65.000 Personen mit Funden bei Mäusen und in Gewebeproben aus den Gehirnen Verstorbener abgeglichen. Dabei identifizierten die Forscher den biochemischen Pfad, der die Krankheit unterstützt, indem er die Zellverbindungen verändert.

Entscheidender Bestandteil bei der Ausbildung der Psychose ist das C4-Protein: Es ist ein Teil des menschlichen Immunsystems – spielt aber auch eine zentrale Rolle bei der Reifung des Gehirns im Anschluss an die Kindheit. Den Forschern zufolge signalisiert es, welche Verbindungen zwischen den Nervenzellen gestutzt oder ganz entfernt werden können.

"Es ist ein mögliches Modell, das Beobachtungen schlüssig verbindet, die früher zusammenhanglos schienen", sagt Steven McCarroll über die Studie, die jetzt im Fachjournal "Nature" veröffentlicht wurde. Wissenschaftler hatten zuvor lange gerätselt, warum Schizophrenie gerade bei älteren Jugendlichen oder jüngeren Erwachsenen auftritt und warum zuvor funktionstüchtige Menschen plötzlich eine Psychose mit oft verheerenden geistigen Defiziten erleiden.

Als Ursache von Schizophrenie wird generell das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren angesehen – dazu zählen Vererbung sowie Einflüsse von Umwelt und Biografie. Nun scheinen sich die Hinweise zu verdichten, dass ihr Ausbruch mit einem massiven Verlust an Synapsen einhergeht. Tyrone Cannon, Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Yale University, kommentiert die Ergebnisse aus Boston als "großen Fortschritt".

Als McCarrolls Team seine Arbeit aufnahm, waren die genetischen Daten keineswegs eindeutig. Doch Aswin Sekar fand ein Muster: Viele der DNS-Abweichungen schienen die Konzentration eines spezifischen C4-Proteins in den Synapsen der Gehirnzellen zu beeinflussen. Und je höher das C4-Vorkommen, desto größer das Risiko, Schizophrenie zu entwickeln, erkannten die Forscher: "Es gibt verschiedene Formen des Proteins, jede mit einer unterschiedlich großen Wahrscheinlichkeit, Schizophrenie auszulösen", beschreibt McCarroll das Phänomen. Er ist sich sicher: "Bestimmte Versionen des C4-Gens scheinen das Risiko, Schizophrenie zu bekommen, um 27 bis 50 Prozent zu erhöhen."

Die Wissenschaftler wollen nun über Therapien nachdenken. Steven Hyman, Direktor des Stanley Center for Psychiatric Research, begrüßt das Potenzial für neue Behandlungsansätze. Bisher werde Schizophrenie allein mit antipsychotischen Medikationen behandelt. Diese würden zwar gegen die Halluzinationen helfen, aber nichts gegen Symptome wie Entscheidungsarmut und Gedächtnisprobleme ausrichten. "Allerdings wird es kein einfaches Unterfangen, das Beschneiden der Synapsen zu optimieren", prognostiziert Hyman. "Denn zu wenig Eingreifen ist genauso schlecht." (bsc)