Revolte bei Wikimedia: Chefin Lila Tretikov tritt zurück

Nach einem regelrechten Aufstand der Angestellten der Wikimedia Foundation hat deren Chefin nun ihren Rücktritt erklärt. Zum Sturz führten die Pläne einen Google-Konkurrenten zu bauen.

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Wikipedia

(Bild: dpa, Jens Büttner)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Lila Tretikov, die Chefin der Wikimedia Foundation tritt von ihrem Posten ab. Mit dem Schritt zieht sie die Konsequenzen aus der immer lauter werdenden Unzufriedenheit mit ihrem Führungsstil. Die im Software-Bereich erfahrene Managerin war vor zwei Jahren an die Spitze der Wikimedia Foundation berufen worden, um die Stiftung zu einer schlagkräftigen Technologie-Organisation auszubauen. Doch die Umbau-Bemühungen Tretikovs ließen ihre Mitarbeiter oft demotiviert und orientierungslos zurück, wie immer mehr Angestellte der US-Stiftung öffentlich erklärten.

Lila Tretikov

(Bild: Lane Hartwell, Wikimedia Foundation (CC BY-SA 3.0))

Berichte über das negative Arbeitsklima in der Zentrale in San Francisco kursieren schon seit längerem. Das letzte Kapitel in der Führungsperiode Tretikovs hatte der Streit um das neue Suchmaschinenprojekt namens Knowledge Engine eingeläutet, beziehungsweise die Geheimniskrämerei um das Projekt. Denn anders als die Wikimedia Foundation in der vergangenen Woche bekannt gab, gab es zuvor sehr wohl Pläne, Google mit einer eigenen Suchmaschine Konkurrenz zu machen. Die Pläne waren schon vor einiger Zeit zusammengestrichen worden, nachdem sich die als Geldgeber vorgesehene Knight Foundation nicht hat überzeugen lassen.

Das Suchmaschinenprojekt alleine hat den Sturz Tretikovs nicht verursacht, aber ihr Umgang mit dem Thema offenbarte die vielen Defizite, die sich in den letzten zwei Jahren aufsummiert hatten. In mühsamer Kleinarbeit haben Wikipedianer in der vergangenen Woche die Ereignisse aus offiziellen Verlautbarungen, den Statements verschiedener Mitarbeiter und nachträglich veröffentlichten Dokumenten zusammengesetzt. Demnach hatte ein ehemaliger Angestellter den Plan gefasst, einen Google-Konkurrenten zu entwerfen.

Die Wikipedia hat in den vergangenen Jahren mit erheblichen Leser-Rückgängen zu kämpfen. Viele Wikipedianer führen das darauf zurück, dass Google Informationen aus der Wikipedia direkt auf seinen Seiten anzeigt. Eine eigene Suchmaschine wäre demnach ein Versuch gewesen, die Relevanz der Online- Enzyklopädie zu bewahren.

Um den großen Konkurrenten Google nicht aufzuschrecken, wurde der Plan in äußerster Geheimhaltung entwickelt, wie der Wikimedia-Entwickler der ersten Stunde Brion Vibber schließlich auf einer Mailingliste erklärte. Kaum jemand in der Wikimedia Foundation war bewusst gewesen, warum Tretikov eine eigene Abteilung zur Verbesserung der Suche gegründet hatte. Nachfragen wurden abgeblockt. Wie der im Dezember aus dem Board of Trustees entlassene James Heilman erklärte, sei für das Projekt ein zweistelliger Millionenbeitrag vorgesehen gewesen. Auch nach dem Zusammenstreichen des Discovery-Projekts auf eine verbesserte Wikipedia-Suche wurden offenbar die Mitglieder des Board Of Trustees nicht informiert. So bezeichnete Wikimedia-Gründer Jimmy Wales entsprechende Berichte Heilmans vor kurzem noch als "Bullshit".

Der Führungsstil Tretikovs sorgte schon seit längerem für immer neue Irritationen. Immer mehr Angestellte verließen die Wikimedia Foundation – zunächst ohne sich konkret zu den Hintergründen zu äußern. Durch Indiskretionen wurden aber immer mehr Details bekannt: So soll es im November bei einer Betriebsversammlung zum offenen Streit gekommen sein, ein Management-Coach sollte Tretikov bei ihren Führungsproblemen helfen.

In den vergangenen Tagen kam es jedoch zum Dammbruch: Immer mehr Angestellte erklärten auf der Mailingliste der Wikimedia Foundation ihre Kündigung mit der Unzufriedenheit mit Tretikov. Auch derzeitige Angestellte forderten offen ihren Rücktritt.

Ins Kreuzfeuer geriet auch das Board Of Trustees, dessen Mitglieder ehrenamtlich die Richtung der Wikimedia Foundation bestimmen und überwachen sollen. Doch mehrere Mitglieder brachen in den vergangenen Tagen mit der üblichen Vorgehensweise und sprachen einzeln über die Probleme, die die Vorstandsarbeit mit sich bringe. Der Druck auf den Vorstand wurde dabei immer größer. Der Community-Newsletter "Signpost" titelte sogar mit einem Bild des Schornsteins im Vatikan, mit dem die Wahl eines neuen Papstes signalisiert wird.

Tretikov wird noch bis Ende März im Amt bleiben. Wie es dann weitergehen soll, ist derzeit unklar. Viele Angestellte, die jahrelange Erfahrung haben, sind bereits gegangen und einen neuen Chef wird die US-Stiftung nicht aus dem Hut zaubern können. (mho)