Predictive Analytics bei der Polizei: Tätergruppen als Schlechtwetterfront entlang der Autobahn

Auf dem europäischen Polizeikongress wurde ausführlich über Computerprognosen in der Kriminalitätsbekämpfung diskutiert.

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Predictive Analytics bei der Polizei: Tätergruppen als Schlechtwetterfront entlang der Autobahn
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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Mit vielen Datenquellen arbeiten und mit Data-Mining-Methoden Zusammenhänge finden, das ist das Gebiet der Predictive Analytics. Im praktischen Einsatz als Predictive Policing geht es etwa bei Einbruchsdelikten darum, die "Hotspots" zu finden, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit der nächste Einbruch stattfinden könnte. Mit Programmen wie Skala oder Precobs und leistungsstarken Computern sowie einigen kriminalistischen Annahmen soll die Kriminalitätsrate gesenkt werden. Auf dem europäischen Polizeikongress in Berlin beschäftigte sich ein Panel und ein Workshop der angeschlossenen Cyber-Akademie mit der Prognose von Kriminalitätsbrennpunkten.

Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann von der nordrhein-westfälischen Polizei erläuterte: "Tätergruppen sind wie eine Schlechtwetterfront, die entlang der Autobahnen zieht." Gelingt es der Polizei, aus den Tatortdaten ein Muster zu erkennen, kann sie präzise wie ein Wetterdienst vorhersagen, wo der nächste Einbruch stattfinden könnte.

Schürmanns Programm für solche Untersuchungen nennt sich SKALA – "System zur Kriminalitäts-Analyse und Lage-Antizipation". Es ist seit vier Monaten in Duisburg im Einsatz und hat sich bereits bewährt. "Es gab eine Festnahme im Hotspot von einem Wohngebiet, in das wir sonst nie hingefahren wären." SKALA verarbeitet 14 Millionen Daten, neben den aufgenommenen Fällen aus den Vorgangs-Bearbeitungsystemen sind dies eingekaufte sozio-strukturelle bzw. sozio-ökonomische Daten, aber auch Daten der Energieversorger. Wenn sich Smart Metering einmal durchgesetzt hat, könnten die Energieversorger eine wichtige Datenquelle werden, meinte Schürmann. Die berechneten Daten werden in einem geographischen Informationssystem ausgegeben, so dass ein Einsatzleiter entscheiden kann, ob er eine Streife zu einem Hotspot schickt.

Das Ganze ist ein rechenintensiver Prozess, mithin ein Grund, warum das im vorigen Jahr auf dem Polizeikongress vorgestellte Programm Precobs diesmal am SAP-Stand präsent war: Es arbeitet auf der Basis von "SAP HANA Sentiment Intelligence". Das als "Kommissar Kristallkugel" beworbene System wird mittlerweile auch in Baden-Württemberg getestet, nachdem der zuständige Datenschützer grünes Licht gegeben hat (PDF-Datei).

Precobs geht weiter als SKALA, das dem Einsatzleiter Hinweise geben soll. Für die Polizisten vor Ort wird derzeit am Institut für musterbasierte Prognosetechnik eine App für das Smartphone entwickelt, auf der sie sofort erkennen können, ob sie sich in einem Prognosegebiet befinden.

Auf dem Polizeikongress wurde die Frage aufgeworfen, ob die Vorratsdatenspeicherung und die Funkzellenabfrage auch als Datenquellen für die Prognose verwertbar sind. Unweigerlich kam auch die Kölner Silvesternacht aufs Tapet, als ein Teilnehmer fragte: "Hätte das Debakel durch ein smartes System vermieden werden können, indem es eine andere Einsatzlage prognostiziert hätte und damit frühzeitig ein anderer Einsatzschwerpunkt zum Tragen gekommen wäre?"

Vor allem der Kriminalist Schürmann hatte seine liebe Mühe, all das herauszustellen, was das System nicht ist und nicht leisten kann. Er sprach davon, dass SKALA etwa 30 bis 40 Prozent gute Antworten für eng begrenzte Fragen bei Einbruchsserien liefern könnte. "Wir stellen für manche Muster fest, dass unsere kriminalistischen Annahmen nicht stimmen. Es gibt immer wieder Enttäuschungen, wenn eine Datenrelation, die wir angenommen haben, nicht funktioniert." (anw)