Kinect & Co. als 3D-Scanner

Mit den Rohdaten aus einer günstigen Tiefenkamera wie der Kinect der ersten Generation berechnet spezialisierte Software raumfüllende farbige Punktwolken oder texturierte 3D-Objektmodelle – und die bekommt man zum Teil sogar kostenlos.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Peter König
Inhaltsverzeichnis

Als Microsoft im Jahr 2010 die erste Kinect auf den Markt brachte, sollte sie eigentlich nur die Bedienung der Spielkonsole Xbox revolutionieren: Der eingebaute 3D-Sensor erfasst Personen vor der Kamera plastisch, sodass sich Spiele durch Gesten steuern lassen. Das Talent der Kinect, räumlich zu sehen, faszinierte nicht nur Spieler, sondern forderte auch Hacker heraus: Schon bald bekam man im Netz einen Satz freier Treiber für die Kinect und die Karriere des Xbox-Gimmicks als konkurrenzlos günstigem 3D-Sensor begann. Bastler versorgten über die Kinect ihre Roboter mit 3D-Karten. Forscher ließen Chirurgen in experimentellen Operationssälen Röntgenaufnahmen über Wischgesten durchblättern. Bei einem Experiment half die Kinect gar Blinden, ihren Weg durch unbekannte Gebäude zu finden.

2011 hatte Microsoft mal wieder selbst die Nase vorn, als die firmeneigene Forschungsabteilung mit ihrem Projekt Kinect Fusion bewies, dass sich das Gerät auch als 3D-Scanner benutzen lässt: Aus den Tiefendaten, die es liefert, errechnet der angeschlossene Computer in Echtzeit ein 3D-Modell der Umgebung und erweitert und verfeinert dieses laufend, während jemand den Sensor freihändig durch den Raum schwenkt.

3D-Scanner gab es zwar schon vorher, die arbeiteten allerdings meistens mit Lasern und Spezialhardware. Die zweckentfremdete Kinect hingegen versprach 3D-Scans für alle: Plastische Schnappschüsse von angebotenen Schätzchen auf Web-Flohmärkten rückten ebenso in greifbare Nähe wie im Handumdrehen ohne Zollstock ermittelte Zimmerabmessungen. Gescannte Möbel, Gegenstände und Personen ließen sich nicht nur ins passende 3D-Format exportieren, konvertieren und in 3D-Spiele einbauen, sondern auch als Miniaturen auf dem 3D-Drucker vervielfältigen.

Microsofts Kinect Fusion Explorer war in der ersten veröffentlichten Fassung eher eine Technik-Demo für die Kinect-Entwicklerwerkzeuge als eine fertige Anwendung, ließ sich aber produktiv nutzen.

Kinect Fusion hatte nur einen Nachteil: Man kam über Jahre nicht an die Software heran – das änderte sich erst 2013 mit der seinerzeit veröffentlichen Version des Kinect-SDK. Die Lücke füllten bis dahin andere, die ebenfalls 3D-Scan-Xoftware für die Kinect und ähnliche Tiefenkameras entwickelten. Im Jahr 2013 gab es eine ganze Reihe davon, weshalb c't seinerzeit sieben interessante Windows-Programme für 3D-Scans mit Kinect getestet hat: Scenect und Skanect (nicht zu verwechseln), Kinect Fusion Explorer und ReconstructMe, Artec Studio, KScan3D sowie das Programm FabliTec 3D Scanner, eine spezialisierte Anwendung für 3D-Selfies.

Die Kinect der ersten Generation ist bis heute noch als Tiefenkamera in Gebrauch – dank ihrer großen Verbreitung, ihres guten Preis-Leistungs-Verhältnisses und weil es viel Software und Programmierwerkzeuge dafür gibt. In dieser Tiefenkamera steckt Sensortechnik vom Hersteller PrimeSense, die auch Asus in seine Xtion-Geräte einbaute. Ein verbesserter Sensor des Zulieferers war der Carmine 1.09, der aber nur schwer zu bekommen war – das einzige uns bekannte handelsübliche Gerät, das ihn an Bord hat, ist der Handscanner Cubify Sense von 3D-Systems.

Skanect führt den Anwender in fünf Schritten vom Scan zum Export, startet die Aufnahme mit wählbarer Zeitverzögerung und kann sie auch automatisch wieder beenden.

Im November 2013 übernahm dann Apple die Firma PrimeSense. Wenig verwunderlich griff Microsoft deshalb für die zweite Generation der Kinect auf andere Komponenten zurück, die noch dazu nach einem ganz anderen Verfahren arbeiten: Die 3D-Oberfläche des Zielobjekts wird hierbei nach der Time-of-Flight-Methode über die Laufzeit von reflektiertem Licht erfasst statt mit dem Lichtmusterverfahren der PrimeSense-Sensoren. Damit geht unter anderem eine deutlich höhere 3D-Auflösung einher.

Dennoch behandeln wir im weiteren Verlauf dieses Textes ausschließlich die Details und Einschränkungen von 3D-Scans, bei der eine Tiefenkamera mit PrimeSense-Technik zum Einsatz kommt, wie bei einer Kinect der ersten Generation oder einer Asus Xtion. Denn zum einen werden solche Geräte immer noch viel benutzt – zum Beispiel im Oktober 2015 für einen vorgeblichen "3D-Kunstraub" im Museum. Zum anderen unterstützt KScan3D als einzige der 2013 getesteten Anwendungen die neue Kinect. Durch deren gänzlich neue Sensortechnik bedeutet es für die Software-Hersteller viel Aufwand, ihre Programme daran anzupassen. Während mancher Hersteller deshalb offenbar die Entwicklung seiner Anwendung eingestellt hat, setzt etwa ReconstructMe verstärkt auf Intels RealSense-Technik als 3D-Sensor. Microsoft hingegen hat kürzlich selbst eine kostenlose 3D-Scan-App für seine aktuelle Kinect im Windows-10-Store veröffentlicht.