Tupfer, bitte

Von den Geburtsschmerzen der Königin Viktoria bis zu Einsteins Aneurysma – der Niederländer Arnold van de Laar reist mit 28 Diagnosen und ihren Patienten äußerst anschaulich durch die Geschichte der Chirurgie.

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Von den Geburtsschmerzen der Königin Viktoria bis zu Einsteins Aneurysma – der Niederländer Arnold van de Laar reist mit 28 Diagnosen und ihren Patienten äußerst anschaulich durch die Geschichte der Chirurgie.

Zwischen all dem Blut, Eiter und experimentellen Operationsmethoden kann es einem schon recht mulmig werden. Doch wagemutige Leser erwartet in Arnold van de Laars Buch eine unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre. Die 28 Kapitel sind dabei mehr als bloße OP-Berichte. Der praktizierende Chirurg van de Laar nutzt die teilweise skurrilen Behandlungen von bekannten Persönlichkeiten, um die Entwicklung von operativen Eingriffen zu erklären.

Er gliedert die Kapitel nach einzelnen Diagnosen und wichtigen Aspekten der Chirurgie. So widmet der Autor ein Kapitel beispielsweise der Narkose. Ihre Einführung ermöglichte komplexere OP-Methoden. Zuvor galt unter Chirurgen die Kunst, schnell zu sein. Schließlich konnten die Helfer den wachen, angstvollen Patienten nur begrenzt festhalten. Es war Königin Viktoria von England, die 1853 das Zeitalter der Betäubung einläutete.

Sie war es leid, die Qualen einer Geburt zu ertragen. Ihr Mann Albert zog nach dem siebten Kind den Arzt John Snow hinzu. Dieser qualifizierte sich als Verfasser eines Buchs über Äther und Chloroform sowie als Erfinder einer Maske, mit der letzteres verabreicht werden konnte. Dass Viktoria schmerzlos ihr achtes Kind bekam und sie von der Wirkung des Chloroforms hellauf begeistert war, öffnete der Narkose in Europa schließlich die Türen der OP-Räume.

In medizinisches Kauderwelsch driftet van de Laar bei seinen Ausführungen nicht ab. Er entschlüsselt unkompliziert Abkürzungen wie etwa das AAA, also das abdominale Aorten-aneurysma, das der Chirurg Rudolf Nissen im Bauchraum seines Patienten Albert Einstein vorfand. Stents oder Gefäßprothesen kannte man 1948 noch nicht, Nissen griff stattdessen zu Butterbrotverpackung. Er umwickelte das Aneurysma mit Zellophan. Der Fremdkörper war biologisch abbaubar und ließ das Gefäß vernarben – was wiederum die gedehnte Aortawand stabilisierte und dem 69-jährigen Einstein noch sieben weitere Lebensjahre bescherte.

Infokästen ergänzen die Kapitel, auch wenn ihre Positionierung manchmal etwas rätselhaft ist. Zu Einstein bei-spielsweise hat sich einer zum Thema „Stiche und Knoten“ verirrt, obwohl bei seiner Zellophan-Behandlung das Nähen nicht so sehr im Fokus stand.

An anderen Stellen gelang die Zuordnung besser. So etwa beim Schmied Jan de Doot aus dem 17. Jahrhundert, der seinen Blasenstein selbst entfernte. Der Infokasten erläutert Hippokrates’ Ansicht zu den sogenannten Steinschneidern, die sich deutlich vom Berufsstand des Arztes abgrenzen sollten. Bei de Doots DIY-Methode lässt van de Laar kein Detail aus: weder den Schnitt zwischen Skrotum und Anus, die stark blutende Wunde noch den beherzten Griff zum Blasenstein.

Ein Nerd-Bonus des Buchs: Im Nachwort zählt van de Laar die Top-10-Chirurgen aus der Science-Fiction auf. Leonard „Pille“ McCoy aus „Star Trek“ natürlich inklusive.

Arnold van de Laar: „Schnitt! Die ganze Geschichte der Chirurgie erzählt in 28 Operationen“, Pattloch Verlag, 432 Seiten, 22,99 Euro (E-Book 19,99 Euro) (bsc)