Neue Klapptelefone dank biegsamer Elektronik?

Glashersteller arbeiten an extrem dünnem Material, das man auf engen Radien biegen kann. In einigen Jahren soll sich ihr Produkt sogar falten lassen, was neue Formate ermöglichen würde.

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Von
  • Katherine Bourzac

Glashersteller arbeiten an extrem dünnem Material, das man auf engen Radien biegen kann. In einigen Jahren soll sich ihr Produkt sogar falten lassen, was neue Formate ermöglichen würde.

Hätten Sie gern ein klappbares Telefon, das in Ihre Tasche passt, aber geöffnet einen Bildschirm in Tablet-Größe bietet? Tatsächlich sind Glashersteller bereits dabei, biegsames Glas zu produzieren, das dünner ist als ein menschliches Haar. Und auch Glas zum Falten ist nach ihren Aussagen bereits in greifbarer Nähe.

Der deutsche Anbieter Schott zum Beispiel produziert in Serie Glas, das ultradünn, robust und glatt ist. Das erste Verbraucherprodukt mit dem neuen Glas ist der Fingerabdruck-Sensor auf einem von LeTV, einem großen Videostreaming-Anbieter in China, produzierten Smartphone. Diese und andere Nischenanwendungen sollen dem Produkt laut Schott-Vertretern einen ersten Einstieg ermöglichen, während Industriedesigner mit weiteren Anwendungsmöglichkeiten dafür experimentieren.

Laut Rüdiger Sprengard, Leiter der Geschäftsentwicklung für ultradünnes Glas bei Schott in Mainz, kann das Unternehmen mittlerweile flexibles Glas in kilometerlangen Bögen produzieren. Vor kurzem hat er das in einem Hotel in San Francisco vorgeführt. Unter anderem zeigte er eine Glasspule von einem halben Meter Dicke und einem halben Kilometer Länge, die aussah wie eine dicke Rolle Zellophan. Eine Maschine kann kleinere Stücke dieses Glases kontinuierlich in einen Radius von neun Millimetern biegen. Falten ist noch nicht möglich, doch laut Sprengard wird daran gearbeitet, und in wenigen Jahren soll es so weit sein.

Nachdem er mir Handschuhe und eine Schutzbrille überreicht hat, gibt Sprengard mir einen Bogen Glas ungefähr so groß wie ein Blatt Druckerpapier, aber (mit 70 statt 100 Mikrometern) dünner und steifer. Als ich es mit meiner Hand auf und ab bewege, tritt eine Mitarbeiterin des Unternehmens einen Schritt zurück – es geht hier immer noch um Glas, und sie trägt keine Schutzbrille. Bei den ersten Versuchen mit derart dünnem Glas, so erklärt Sprengard, sei es noch sehr leicht gebrochen. „Ungefähr vor zwei Jahren hätten Sie sowas damit nicht machen können“, sagt er.

Genau die Zerbrechlichkeit ist es, die eine Massenproduktion von flexiblem Glas so schwierig macht. Um sie in den Griff zu bekommen, musste Schott neue Methoden entwickeln. Die Grundlage dafür kam aus der Herstellung von ultrafestem Glas wie dem Gorilla Glass von Corning, das auf vielen Smartphones zu finden ist. Dieses und andere Produkte der beiden Unternehmen werden mit einem Verfahren namens Ionenaustausch gehärtet.

Damit Glas immer dünner – und somit flexibler – werden kann, müssen die Hersteller es stabiler machen. Schott ist als erstes Unternehmen in der Lage, ultradünnes Glas herzustellen, das sich chemisch durch Ionenaustausch härten lässt; das war eine Herausforderung, sagt Eric Urutti, Vice-President für Forschung und Entwicklung bei Schott Nordamerika. Dazu wird das Glas aus einem riesigen Schmelztank zu Bögen gegossen und durch Walzen geleitet. Anschließend durchläuft es ein Bad aus geschmolzenem Kalium, bei dem kleinere Natrium-Ionen austreten und durch größere Kalium-Ionen ersetzt werden.

Je stärker das Glas dadurch in sich komprimiert wird, desto robuster wird es. Diesen Prozess für immer dünneres Glas zu kontrollieren, ist allerdings schwierig – denn es gibt schlicht immer weniger Material dafür. Derzeit produziert Schott Glas mit einer Dicke von 20 Mikrometern. Ebenfalls eine Herausforderung ist es, einen solchen Wert über Kilometer stabil zu halten. Und jegliche kleinen Fehler müssen geglättet werden — wenn man nicht gesplitterte Telefon-Bildschirme riskieren möchte.

Mit immer dünnerem Glas verändern sich die Herausforderungen, sagt Scott Forester, Leiter für Gorilla-Glas-Innovationen beim Schott-Konkurrenten Corning in New York. Auch Corning arbeitet an ultradünnem Glas – ein Produkt mit 100 Mikrometern Dicke ist bereits erhältlich. Je dünner ein Deckglas (wie auf einem Smartphone) ist, desto leichter ist es zu durchstechen. Im Vergleich zu Plastik werde Glas hier allerdings immer überlegen bleiben, so Forester.

Bei flexibler Elektronik gibt es bereits einige Fortschritte, die für Verbraucher aber nicht leicht zu erkennen sind. Flexible Bildschirme sind schon heute in Geräten wie dem Galaxy Edge zu finden, das einen starren, aber an den Seiten gebogenen Bildschirm hat. Dazu wird sein OLED-Display auf ein Gorilla-Deckglas von Corning laminiert. Wenn auch dieses Glas flexibel wäre (und es noch ein paar andere Änderungen gäbe), könnte das ganze Gerät flexibel sein. Deckglas ist heute mit ungefähr einem halben Millimeter meist zehnmal so dick wie die Produkte, die Schott jetzt vorgeführt hat.

Laut Forester sind die meisten Bausteine für flexiblere Konsumelektronik schon vorhanden. Das Glas ist bereit, und flexible Schaltkreise auch schon fast. Jetzt muss man noch auf die Designer warten – und auf die Verbraucher: „Es muss einen Formfaktor geben, der einen Mehrwert für die Nutzer bedeutet“, so Forester.

Noch ist nicht klar, wie so etwas aussehen könnte, doch auch Corning arbeitet schon am dafür erforderlichen Glas. Da Ionenaustausch bei dünneren Materialien schwieriger wird, will das Unternehmen die Struktur des Glases selbst verändern – eine grundlegendere Veränderung an dem Material. Menschen benutzen Glas seit der Steinzeit, sagt Forester, aber trotzdem gebe es hier immer noch reichlich zu erforschen – „Unsere Wissenschaftler testen jeden Tag 30 oder 40 neue Glasarten.“

(sma)