Retro Computing: Die Totensaga der Retro-Spielkonsole Coleco Chameleon

Zwei Anläufe genügten nicht, Coleco entzieht dem Chameleon den Markennamen und das verantwortliche Team unterbindet jeden Kontakt zur Außenwelt. Die Geschichte dahinter beleuchtet, was bei einem Retro-Projekt alles danebengehen kann.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 58 Kommentare lesen
Retro Computing: Die Totensaga des Coleco Chameleon
Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

Man lebt nur zweimal – dieses Motto gilt nicht nur für englische Geheimagenten, sondern anscheinend genauso für Retro-Projekte. Schon vor dem eigentlichen Start der geplanten Crowdfunding-Kampagne, darf man das Coleco Chameleon als gescheitert bezeichnen, denn der Namensgeber hat dem Team alle Rechte entzogen. Und kurz darauf schließt die Webpräsenz des verantwortlichen Retro Magazine ihre Türen. Doch was steckt hinter dem Absturz?

Ihren Anfang nimmt die Geschichte mit dem Retro VGS. Einer Spielkonsole, die in den Vorstellungen ihrer Entwickler der gegenwärtigen Generation konträr entgegenstehen sollte. Statt die Spiele auf optische Medien zu pressen oder sie online aus einem Store zu beziehen, sollten sie auf klassischen Cartridges erscheinen. Eine Verbindung ins Internet war genauso wenig vorgesehen wie ein Aktualisieren von Konsole oder Software. Das ganze in einem Gehäuse, das direkt von Ataris Jaguar stammt.

Für manche nostalgisch veranlagte Spieler mag das Paket auf den ersten Blick erstrebenswert erscheinen. Aber das Versprechen, dass Software ohne Internetzugang Patches gar nicht erst benötige, gehört ins Land der Legenden. Auch auf dem NES oder Mega Drive erschienen für Spiele mit der Zeit neue Versionen – und wer sein Vergnügen zuvor erstanden hatte, musste mit den Fehlern leben. Ein weiterer Schwachpunkt des Retro VGS stellte die Auswahl der eigentlichen Programme dar, denn es handelte sich um Titel, die man bereits auf anderen Plattformen erstehen konnte. Auch der Controller fand keine Freunde, bei ihm hatten sich die Designer für ein Gerät eines Drittanbieters entschieden, das durchwegs schlechte Bewertungen aufwies.

Sammler: Pat Contri beschäftigt sich umfassend mit klassischen Konsolen und Videospielen. Momentan arbeitet er an dem Buch Ultimate NES, das sich den über 750 veröffentlichten NES-Spielen widmet.

(Bild: Pat Contri)

Der Experte für klassische Konsolen Pat Contri hat das Projekt von Beginn an kritisch begleitet: "Ich glaube, dass die Entwickler während der Retro-VGS-Phase irgendwann eine Konsole veröffentlichen wollten. Sie benutzten jedoch Indiegogo, um Unterstützung zum Anfertigen eines wirklichen Prototyps aufzutreiben, anstatt ein funktionierendes Gerät bereits vor dem Crowdfunding vorweisen zu müssen. Kickstarter setzt hingegen einen laufenden Prototyp bei Hardware-Projekten voraus. Jedoch war es ärgerlich, dass sie gleichzeitig ihr Unternehmen damit finanzieren wollten. Der Prototyp hätte weitaus weniger als die geforderte Summe gekostet." Wenig überraschend scheiterte das Projekt klar an zu wenig Unterstützern, die willig waren, dem Team ihr Geld anzuvertrauen.

Aus Fehlern lernt man und die Designer schienen nicht gewillt aufzugeben. Wenige Monate nach dem Desaster präsentierte sich das Projekt in neuem Licht. In Lizenz erhielt die Konsole die Bezeichnung Coleco Chameleon. Bei der Connecticut Leather Company handelt es sich in der Retro-Szene durchaus um einen vertrauenerweckenden Namen, der immerhin mit dem ColecoVision für einige Zeit dem legendären Atari 2600 die Stirn bieten konnte. Zudem sollten dank FPGA statt neu entwickelter Spiele alte Klassiker auf dem System laufen. Einzig die Jaguar-Hülle und das ungeliebte Gamepad blieben erhalten.

Generationen: Das ColecoVision erblickte 1982 das Licht der Welt. Mit dem Coleco Chameleon hätte es bloß den Namen geteilt.

(Bild: Vanamo Online Game Museum)

Doch Pat Contri sah den neuen Versuch kritisch: "In meinen Augen handelte es sich um ein schamloses Verschleiern des gescheiterten Retro VGS, bei dem das Team einfach den Namen einer toten Marke ausnutzte. Zu meinem Überraschen funktionierte es aber, viele Gaming-Seiten übernahmen die Pressemitteilungen und meldeten, dass Coleco wieder in den Markt für Videospiele einsteigen würde – was einfach nicht stimmte. Die Entwickler benutzten lediglich die gekaufte Lizenz, die Probleme bestanden jedoch weiterhin. Nur sollten jetzt mit der Nostalgie Leute geködert werden, die dachten, Coleco selbst würde hinter dem System stehen. Zu viele hatten vergessen, was nur wenige Monate zuvor geschehen war."

Die Entwickler versprachen, bald einen funktionierenden Prototypen zu zeigen, um anschließend Interessierte auf Kickstarter zu gewinnen. Als Rahmen sollte die American International Toy Fair in New York dienen, eine der wichtigsten Messen für Spielsachen.

Und tatsächlich konnten Besucher die Konsole mit SNES-Spielen auf einer Flash-Cartridge ausprobieren. Doch sofort kamen dennoch Zweifel auf: Statt der unbeliebten Controller kamen klassische SNES-Gamepads zum Einsatz und die Konfiguration auf der Rückseite des Systems erinnerte ebenfalls stark an ein SNS-101. Verrichtete unter der Hülle Nintendos Klassiker die ganze Arbeit? Dass das Gehäuse durch Klebeband zusammengehalten wurde, half dabei nicht. Wenig später sollte die Crowdfunding-Kampagne beginnen, doch die Entwickler verzögerten den Start mit der Begründung, dass sie noch am versprochenen Prototypen arbeiten würden.

Kurz darauf veröffentlichte das Team ein weiteres Bild der Konsole, dank einer transparenten Hülle konnten Skeptiker endlich einen Blick auf das Innere werfen. Doch schnell recherchierten findige Retro-Experten, dass es sich bei dem sichtbaren Board um eine alte PCI-Karte handelte. Genauso eilig wie sie das Foto veröffentlichten, löschten die Entwickler es wieder von ihrer offiziellen Seite.

Zu diesem Zeitpunkt meldeten sich ebenfalls ehemalige mehr oder weniger eng mit dem Projekt verbundene Personen zu Wort, die ihre Zweifel an der Ernsthaftigkeit zum Ausdruck brachten. So gab Brian Thomas Barnhart auf YouTube an, dass er zwar Werbevideos für die Konsole produzieren sollte, jedoch das Gerät nie zu Gesicht bekommen hätte und man das Material einfach zum Täuschen von potenziellen Backern missbrauchen hätte können. Und David Giltinan trennte sich vom Retro Magazine aufgrund des Coleco Chameleon, unterstrich jedoch, dass sie Kunden nie hätten täuschen wollen.

Auch dem Namensgeber Coleco Holdings wurde es zu viel. Die Firma forderte nun innerhalb einer Woche einen funktionierenden Prototypen, den Unabhängige überprüfen könnten. Die Tage verstrichen – und am Ende musste der Lizenzgeber verkünden, dass das Retro-Team der Forderung nicht nachkommen konnte. Entsprechend zog sich Coleco aus dem Projekt zurück. Und gleichzeitig verschwand die Webpräsenz der Entwickler ohne weiteren Kommentar.

Was steckt also hinter dem Fiasko? Einige böse Zungen in den sozialen Medien werfen dem Team direkten Betrug an den potenziellen Unterstützern vor. Pat Contri meint jedoch, dass die Entwickler zu ambitionierten Träumen und unrealistischen Plänen erlagen. "Sie versuchten ihren Zeitplan für den Kickstarter bis zum 26. Februar einzuhalten, merkten aber, dass sie nichts vorzuweisen hatten. Viele Experten gingen davon aus, dass sie zum Konstruieren eines ersten Geräts wenigstens viele Monate wenn nicht ein ganzes Jahr benötigen würden. Wir wissen noch immer nicht, wer genau den berüchtigten SNES-Prototyp angefertigt hat. Aber das Team muss wissen und dafür verantwortlich sein, was es der Öffentlichkeit zeigt. Offensichtlich sind sie nicht in der Lage, ein solches Projekt zu leiten."

Eine von manchen nostalgisch erinnerte Hülle des Jaguar ist eben nicht die essentielle Grundlage einer tollen Retro-Konsole. Andere Projekte wie Sir Clive Sinclairs ZX Vega – ein Wiederaufleben des legendären ZX Spectrum als Konsole – gehen es von der anderen Seite an und beweisen, dass Interesse an vergleichbaren Systemen durchaus vorhanden ist. (fo)