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Was war. Was wird. Von künstlichen Intelligenzen und einer unkünstlichen Messe

Romantizismen können nicht nur in der Musik gehörig nerven. Und doch gehören sie zu manchem Meisterwerk einfach dazu. So mag auch der unaufhaltsame Sieg der KI über den Menschen manch konservativ-romantisches Nebenher mit sich bringen, grübelt Hal Faber.

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Was war. Was wird. Von künstlichen Intelligenzen und einer unkünstlichen Messe
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Keith Emerson im Kreise seiner Kollegen

(Bild: Emerson, Lake & Palmer )

*** Manchmal konnte Keith Emerson einem ja schon auf die Nerven gehen mit seinen Romantizismen. Die bei Nice noch durch die Mitspieler gebremst, bei Emerson, Lake & Palmer aber durch den oft arg sentimentalen Greg Lake eher noch gefördert wurden. Aber das ist egal: Emerson ist einer meiner großen musikalischen Helden, der mit ELP nicht nur meine Musiklehrer davon überzeugte, dass es ein musikalisches Leben auch diesseits der Wiener Klassik und gewisser "neuzeitlicher Moden" gibt, sondern mich von Anfang an für sein Klavierspiel, seinen Synthesizer-Einsatz und seine Kompositionen begeisterte. Besonders mit Emerson, Lake & Palmer öffnete mir Emerson Gehörgänge einerseits in eine Musik abseits des alltäglichen Gedudels. Und andererseits zu etwas, das heutzutage immer noch, auch wenn die Anfänge bereits 100 Jahre her sind, seltsamerweise als "Neue Musik" bezeichnet wird. Lustigerweise waren für mich auch Punk à la Clash/Crass/AngelicUpstarts und ProgRock nach ELP/KingCrimson/GentleGiant-Art zwei Seiten derselben Medaille: Musik entgegen der wohlfeilen Harmlosigkeit, die sich zu dieser Zeit als Mainstream in der Rockmusik durchzusetzen begann. Nun ist Keith Emerson gestorben.

*** Was dagegen lebt, ist – entgegen aller immer wieder zu hörender Unkenrufe – die Künstliche Intelligenz. Denn ES ist passiert: Nach dem Sieg im Schach, nach dem Triumph des Thermomix beim Kochen hat der Computer den Menschen in Go geschlagen. Dabei hat der Computer Züge gemacht, über die professionelle Go-Spieler nur den Kopf schüttelten. Alles nur Mathematik, doch so bekommen wir eine Ahnung von einem anderen System, von einer "künstlichen Intelligenz" im Sinne des verbrauchten Wortes. Neben klugen Kommentaren, dass man ein neues Go vom Go-Computer lernen kann, sind die Apokalptiker aus dem Häuschen: "So, glaube ich, fühlt sich so ein Sci-Fi-Szenario an, in dem eine überlegene außerirdische Intelligenz die Erde angreift, und wir sind nicht schlau genug, ihre Strategie zu verstehen. Wir sehen, was sie tut, aber wir verstehen es nicht", heißt es, verbunden mit einem kleinen Rundschlag zu Computern, die selbst ihre Software schreiben, bevor sie auf die Reise gehen ins Universum. Denn wir sind halt doof, so als Spezies im Allgemeinen und als Programmierer im Speziellen. Wie sagte es noch Arthur C. Clarke? Ach, ich wiederhole mich.

*** Bis wir daneben stehen und über diese Computer mit dem Kopf schütteln, haben wir noch einige Möglichkeiten. Heute kann man beispielsweise in einigen Ländern Deutschlands darüber abstimmen, ob die Frauen zurück an den Herd geschickt werden und ob über die "Unglückszeit" des deutschen Faschismus geschwiegen werden soll. Als seien die Landtagswahlen eine Abstimmung über sie, bringt die tageszeitung ein großes Portrait über Angela Merkel. Die Lenkerin der Deutschland AG, die Pragmatikerin, die immer darauf achtet, dass die Maschine läuft, wird ausgehfertig gemacht für eine schwarz-grüne Zukunft. Die Partei, die einst im Jahre 1987 so große Angst vor dem Computer hatte, dass sie die Zahl auf 10 PC limitierte, ist längst auch technisch anschlussfähig geworden beim Liebäugeln mit dem Konservativismus.

*** Die Schlagzeilen, die Volkswagen in dieser Woche produzierte, zeigen die Auflösung genau dieser Deutschland AG, an der Merkels Herz hängt. Der längst überfällige Rücktritt des US-Chefs ist nichts gegen die Nachricht, dass man noch zum Jahreswechsel 2014/15 die Abgas-Software mit einem Update erweiterte, als die Untersuchungen gegen Volkswagen in den USA schon liefen. Die Folgen dieser Aktion, staatliche Auflagen zu ignorieren und auf eine kleine Strafzahlung zu hoffen, wird Konsequenzen für die besagte Deutschland AG haben. Da mag man noch so unbeschwert den Beginn der Bulli-Produktion in Hannover feiern oder auf die anderen Hersteller zeigen, es nutzt nichts. Um es in Verdrehung eines verdrehten Sloterdijk-Geraunes zu sagen: Hier entscheidet ein Autokonzern über den Ausnahmezustand.

*** Der US-Amerikaner Jacob Appelbaum hat auf einem Symposium über den Widerstand gegen Zensur und Überwachung entschieden, dass alle, die ihn als Online- oder Internet-Aktivisten und nicht als Journalisten bezeichnen, sein Leben gefährden. Denn damit würden sie suggerieren, dass er kein richtiger Journalist sei, was wiederum staatliche Dienste bewegen könnte, ihn mehr zu beobachten und zu verfolgen. Das ist eine starke These, die sich im Umfeld von Wikileaks gut macht, aber ansonsten merkwürdig bleibt. Bei Reporter ohne Grenzen gibt es das "Barometer der Pressefreiheit", das getötete oder verhaftete Journalisten und Online-Aktivisten ausweist. Elf in diesem Jahr getötete Jounalisten, 152 verhaftete Journalisten und 163 verhaftete Online-Aktivisten zeigen, dass es kaum einen Unterschied macht, wie die Etiketten beschriftet sind. Die Unterscheidung ist eher ein Tritt gegen die etablierten Medien wie dem Guardian, der New York Times und den Spiegel, die auf der Konferenz heftig kritisiert wurden.

*** Ohnehin ist manche Unterscheidung in diesen Tagen seltsam: Was soll man von dem Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses halten, wenn er die Online-Aktivisten des Chaos Computer Clubs auffordert gemeinsam mit dem BSI (!) gegen "Putins Trolle" vorzugehen? Patrick Sensburg erkannte richtig, dass Verbote und Blockaden nicht helfen, weil sie Verstöße gegen die Meinungsfreiheit sind.
"Aber wenn beispielsweise das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik oder der Chaos Computer Club die Gerüchte und Seiten der Trolle enttarnten, hätten Bürger die Möglichkeit, sich unabhängig zu informieren und Informationen zu verifizieren."
Unabhängige Bürger-Informationen nach gemeinsamer Vorarbeit von Sicherheitsspezialisten und Hackern, die allen Ernstes erzerrte Informationen enttarnen können, das könnte anderswo als Vorzensur interpretiert werden. Zumal es gerade unter den Hackern illuminoide Typen gibt, die glauben, dass "The Con" uns alle in "Pinks" verwandeln will, indem fortlaufend unser "Slack" geraubt wird Dann schon lieber eine freie Presse mit unabhängigen Journalisten oder eben auch "Recherche-Verbünde" in denen Spezialisten mitarbeiten, ob Hacker oder Kryptologen.

*** Als Ronald Reagan, der Vorläufer von Donald Trump, in den USA zum Präsidenten gewählt worden war, wollte er nach Darstellung von Ken Adam den "War Room" im Weißen Haus sehen, den Adam für den Film Dr. Seltsam von Stanley Kubrick gebaut hatte. Ausgerechnet der ehemalige Schauspieler nahm das verschwörungstheoretisch höchst interessante Spektakel für bare Münze. Adams "War Room" ist Teil unserer Kultur geworden, auch die Bauten für die Bond-Filme werden in Erinnerung bleiben. Und nein, der neue Präsident Obama fragte nicht nach dem Adam-Raum. Nun ist auch Sir Ken Adam, der in Berlin geborene Klaus Hugo Adam, gestorben.

Was wird.

Hurra, hurra, es ist wieder soweit mit der CeBIT! Diese tolle IT-Messe da in Hannover wird gelauncht! Die Zeit der unterirdischen Pressemeldungen ist endlich vorbei, das sinnbefreite Geplaudere mit den Vertriebsmenschen kann beginnen. Weg mit dem Gefühl der verbauten Zukunft, denn die IT wird uns retten und alles strahlend und größer machen. Diesmal ist alles 4.0 und in XXL, wenn Günther Oettinger die Messe eröffnet hat. Der schießfreudige EU-Mann ist Optimist und freut sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bereits auf das Jahr 2020, wenn die Fußball-EM ganz im Glanze des 5G-Netzes erstrahlt. Das Blatt lobt denn auch die CeBIT als größte IT-Messe der Welt und sorgt sich über alle Deutsche, die die CeBIT belächeln oder von den wilden Zeiten voller Standparties schwärmen. Ja, Deutschland muss einen "echten Sprung in die neue Welt des Internets der Dinge" machen und all die Trantüten überhüpfen, die da von "Datenschutz" reden und die Zwangssmartmeterisierung ablehnen.

Ein Computer-Designentwurf von Ken Adam. Wenn ich nur wüsste, für welchen Bond-Film das war ...

Am zweiten Tag wird Angela Merkel von Wahlen befreit glücklich über die CeBIT gehen und sich das große Umkrempeln anschauen, Schweizer Stände besuchen, bei SAP, IBM und Microsoft Hallo sagen, das Internet der Dinge begucken, vielleicht in 3D einen Henkel ihrer Handtasche nachdrucken lassen und wieder nach Berlin verschwinden, achtsam von Sicherheitsleuten und Fotografen begleitet. Wenn Obama zur Industrie-Messe kommt, um Amerikas Erfindergeist zu unterstreichen, wird das sicher anders aussehen. Bis dahin freuen wir uns über den Start der deutschen Volksverschlüsselung, ganz ohne Hintertüren made by USA.

Es geht ja voran, dank der Flüchtlinge. Die haben ein ganz wunderbares Kerndatensystem, in dem Daten zusammengeführt werden, die in dieser Form eigentlich "wg. Datenschutz" verboten ist. Medizinische Daten, Sozialdaten, Finanzdaten und vieles mehr, das Ganze obendrein in eine "Sealed Cloud" gepackt. Und ist es nicht wunderbar, dass uns genau diese Big-Data-IT, die Flüchtlinge und Asylsuchende verwaltet, auch schützt vor gut gebauten Männern im kampffähigen Alter, die aus den Booten steigen. "Big Data enttarnt Terroristen unter Flüchtlingen", da sage einer noch etwas gegen Big Data. Sagt ja zu Sahra, es ist für unser aller Gesundheit das Beste, wenn alle Gesundheitsdaten zusammengeführt werden. Erinnern wir uns an AlphaGo: Sie wollen doch nur spielen. (jk)