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Was war. Was wird. Von hehren Zielen und bitterem Scheitern

Ein Land in Mittelamerika ist in aller Munde, auch in Hal Fabers. Doch während die einen daran arbeiten, ihn ins rechte Licht zu rücken und die anderen verkrampft das Haar in der Suppe suchen, erinnert er daran, dass die EU die Münder schließen will.

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Was war. Was wird. Von hehren Zielen und bitterem Scheitern

Genau so schön ist es.

(Bild: Karsun Designs, CC BY-ND 2.0)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"Es wird uns zwar, so wie anderen Zeitungs=Schreibern, nicht möglich sein, die Weltbegebenheiten früher anzuzeigen, als sie geschehen sind; oder, als sie auswärtige Zeitungen der Welt berichten. Aber doch haben wir Anstalten getroffen, vermittels der besten Französischen, Englischen, Italienischen, Holländisch= und Deutschen Zeitungen, und auch durch zuverlässige Privat=Correspondenz die Nachrichten immer so bald zu erhalten, und in unsere Zeitungen einzurücken, als es andere von unseren Nachbarn thun können."

*** Oh, wie schön ist Panama, jenes Land der Kindheit, das man niemals verlassen möchte. Ganz anders als dieses Land zwischen Süd- und Mittelamerika, in dem die Veröffentlichung der Panama Papers keine Konsequenzen hat. In dem man von einem "perversen Angriff auf unsere Nation" spricht und gleichzeitig stolz ist auf das moderne Gesetz zu den "Sociedades Anónimas", das man 1984 von der US-Steueroase Delaware 1:1 kopierte. So entstand die laute und dreckige Panama City, von der Lufthansa gerade zum Reiseziel des Monats gekürt. Dort sitzt die von dem Deutschen Jürgen Mossack gegründete Kanzlei Mossack Fonseca in einem Gebäude zusammen mit einer Privatklinik, in der sich kranke Klienten behandeln lassen können.

*** 11,5 Millionen Dokumente, insgesamt 2,6 Terabyte Daten, die mit Hilfe der Optical Character Recognition aufgetürmt wurden, was den Software-Lieferanten Nuix vor Stolz fast zum Platzen bringt. Das ist nicht alles. Angeblich 400 Journalisten arbeiteten insgeheim an dem Mordstrumm, natürlich über das Internet verbunden und verschworen. Nach den Offshore-Leaks von 2013 mit 86 Journalisten und 260 Gigabyte Daten hat das ICIJ einen neuen Rekord gesetzt und zeigt dies mit einem Spielchen. Die zusammen arbeitenden 400 Journalisten sind also Helden. Denn sie stellen das her, was die tageszeitung als neue Weltöffentlichkeit feiert:

"Die aktuelle Enthüllung ist nicht die erste des Netzwerks, aber die wahrscheinlich komplexeste, die je von investigativem Journalismus geleistet wurde. Einzelne Redaktionen könnten einen solch gewaltigen Datensatz in seinem globalen Kontext niemals entschlüsseln. Seit einigen Jahren finden Journalisten erfreulicherweise Antworten darauf, wie sie zur vierten Gewalt in einer Weltgemeinschaft aufsteigen können."

*** Große Worte, die noch größer werden, wenn Hans Leyendecker, der 500-Pfund-Gorilla des investigativen Journalismus seine Lehre vom Schmutz aufschreibt, gegen die Putin-Versteher, die die Veröffentlichungen mit der Gleichschaltung der Presse unter Goebbels vergleichen oder gegen die Informations-Verbieter.

"Eine wirklich gute Nachricht ist, dass Journalismus funktioniert, obwohl es ihm ökonomisch an vielen Orten nicht gutgeht. Hunderte Journalisten aus aller Welt, aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, haben sich zusammengetan, um die große Geschichte mit den vielen Details aufzuarbeiten. Sie haben miteinander, und nicht gegeneinander gearbeitet, und ein Jahr lang dichtgehalten. Für viele ist es die Geschichte ihres Lebens, und sie werden dranbleiben. Mag der Teufel wissen, welches Motiv jeder einzelne von ihnen hat. Aber gemeinsam tun sie etwas für Aufklärung und gegen ungerechte Verhältnisse."

*** Gegen ungerechte Verhältnisse veredeln die Journalisten die Arbeit von Whistleblowern zu Erkenntnis-Wunderwerken, wenn sich die Politik weigert, Whistleblower anzuhören. Eine schöne Vorstellung, die mit der Realität wenig gemein hat. Denn ausgerechnet Europa, das über die Steueroasen und ihre Bankgeheimnisse schimpft, steht in der nächsten Woche vor der Abstimmung über eine neue Richtlinie zum Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen und vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, die dieser Form des aufklärerischen Journalismus den Garaus macht. Deswegen gibt es seit über einem Jahr Proteste und Kritik von mehr als 400 Journalisten. Während der Präsident des Europaparlamentes davon schwadroniert, dass Steuerhinterziehung unsere Gesellschaft zerfrisst, kann man bei den den "Lux-Leaks" sehen, wie es mit dem neuen EU-Gesetz aussehen könnte, weil Luxemburg sich auf einen ähnlichen Paragraphen beruft. Dort ist nicht nur der Whistleblower, sondern auch der Journalist angeklagt. Die Verhandlungen beginnen am 28. April.

*** Die Nachricht von den Panama Papers animierte die deutsche Piratenpartei zu frohlockenden Prognosen über ihre isländische Schwesterpartei, die mit Birgitta Jonsdottir bei vorgeschobenen Neuwahlen die Ministerpräsidentin stellen könnte. Die Regierung überstand zwar die Misstrauensabstimmung, doch bei den Piraten gibt man sich siegesgewiss als Hacker unserer bisherigen überholten Regierungssysteme.

*** Buch macht kluch, sagt der Volksmund. Doch jedes Buch hat einmal ein Ende, wie auch das Bücherschreiben. Der große schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson ist tot. Mit seinem Aufruf für Informationsfreiheit als Bürgerrecht war Gustafsson ein Unterstützter der schwedischen Piratenpartei. Er betrieb ein Schreibprogramm ganz eigener Art. Übersetzer von Rilke und dem großen Seamus Heaney. Autor von Büchern und dem unverzichtbaren "Handbuch für das Leben". Mit seiner Erzählung über die Tennisspieler hinterlässt er eine der schönsten Computergeschichten in der Literatur. Da wird der Computer des Luftfahrt-Kontrollzentrums der Air Force von Fort Worth benutzt, um Bücher von Strindberg und Pietziewzskoczsky in Gödelnummern umzuwandeln, damit sie à la mode de Vroniplag vergleichbar werden. Das Resultat ist unbekannt und liegt in einem einsamen Computer, der womöglich immer noch rechnet. Mit seiner Logik der Toleranz gab Gustafsson zuletzt nicht nur den Philosophen einen hübschen Zweisatz als Denkaufgabe.

"In Fragen der Vernunft und der Freiheit haben Gesellschaften genauso wie Individuen eine klare Antwort zu geben. Sie müssen sich entscheiden. Es gibt hier keinen Mittelweg. Das gilt für die Bürger eines Landes genauso wie für die Zugezogenen."

*** Während Gustafsson sein Buch über die schwedische Piratenpartei und die Verfasstheit von Schweden nicht mehr schreiben kann, gibt es zumindest in Deutschland einen Versuch, das Geschehen rund um die Piratenpartei zu reflektieren. Die Geschichte der Affenschande soll gedruckt werden, wenn Politik als Notwehr finanziert ist. Das Erbe der Piratenpartei ist jedenfalls keine Stange Geld, das nach Panama verschoben werden muss, nur eine bittere Erkenntnis mit dem piratenüblichen Schuss Megalomanie:

Die Piratenpartei, wir alle haben es vergeigt. Wir haben das Projekt in den Sand gesetzt. Und das ist eine Affenschande: Es gab ein Zeitfenster, in dem alles möglich schien. Wir trieben die etablierte Politik für einige Monate vor uns her. Beobachter wie Akteure: Alle waren sich einig, dass sich im parlamentarisch-politischen System dringend etwas ändern muss, und eigentlich war das unsere Aufgabe."

Was wird.

Es geschieht nicht alle Tage, dass ein Geheimdienst sich unter die Verbraucherschützer mischt. Ausgerechnet der britische GCHQ, anerkanntes Mitglied der "Five Eyes" äußerte sich besorgt über die Einführung von Smart Metern in Großbritannien, weil diese intelligenten Stromzähler allesamt mit demselben Schlüssel verschlüsselt wurden. Wie die Best Practice in Deutschland angesichts des Smart-Meter-Zwangs aussieht, will ein Workshop des CAST in der anstehenden Woche klären.

Werbekarte von EDRI.ORG, passend zum anstehenden EU-Irrsinn

Wissenschaftler haben mit ihren wissenschaftlichen Werkzeugen bewiesen, dass es ePundits gibt und die wichtigsten deutschen e-Influenzler Jilian C York und Jon Worth sind, noch vor der einflussreichen Truppe von Netzpolitik. Die ruft unverdrossen zum Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten auf, das wie der Schutz der Geschäftsgeheimnisse in der kommenden Woche im Europaparlament verabschiedet werden soll. (mho)