Endlich: Die eingebaute Vorfahrt

Siemens will Fahrradfahrern per App eine grüne Welle verschaffen. Kann das funktionieren?

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Mein erster Gedanke: Geil. Der zweite Gedanke: Und das soll funktionieren? Der dritte Gedanke: Wenn es Bullshit sein sollte, ist es doch wenigstens hübsch verpackt.

Und darum geht es: Siemens will eine "grüne Welle für Fahrradfahrer" einrichten. Dazu muss der Radler eine App installieren, die seine Position, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung an die Verkehrszentrale meldet. Diese schaltet dann automatisch die nächste Ampel auf Grün oder verlängert die Grünphase, so dass der Biker ohne anzuhalten durchfahren kann. Damit sich nicht auch Autofahrer mit der App grün ziehen, muss die Geschwindigkeit unter 25 km/h liegen.

Klingt erstmal nett, will ich haben. Das erste Pilotprojekt ist in Bamberg. Da Franken immer eine Reise wert ist, werde ich das System bei Gelegenheit mal ausprobieren. Busse und Straßenbahnen bekommen auf diese Weise schließlich schon seit Jahren ihre eigenen grünen Wellen, warum also nicht auch Radfahrer? Der Unterschied: Es gibt deutlich mehr Radfahrer als Busse. Was daraus folgt, hat Verkehrsexperte Daniel Seebo vom Verkehrsplanungsbüro SHP Ingenieure in Hannover mal durchgerechnet: "Wenn in der Hauptrichtung 120 Radfahrer in der Stunde unterwegs sind, ist das alle 30 Sekunden einer. Bei einer üblichen Umlaufzeit von 90 Sekunden müsste man in der Hauptrichtung schon permanent grün zeigen, damit jeder angemeldete Radfahrer bei grün fahren kann. Die Nebenrichtung und die Abbieger bekämen fast nie grün."

Ausgemachter Bullshit also? "Aus meiner Sicht ist die Idee nicht schlecht", meint Daniel Seebo, "ersetzt aber eigentlich nur den Druckknopf am Mast." Mit dem Unterschied allerdings, dass der Radler diesen Knopf schon aus der Ferne drücken kann. Das ist ja schon mal etwas. "Die Ampel würde dann aber genauso reagieren wie heute", so Seebo – nämlich stur ihren normalen Umlauf abspulen. "Für eine intensive Radfahrerbevorrechtigung müsste man die Steuerungslogik ändern. Wenn man alle eintrödelnden Radfahrer einzeln bei grün rüberbringen will, kann das nicht funktionieren – allenfalls nachts, wenn wenig los ist."

Es hilft also alles nichts: Das Grün des einen ist das Rot des anderen. Dabei könnte man auch ohne jegliche Diskussion über Fairness und Verteilungsgerechtigkeit viel für ein flotteres Fortkommen tun – indem man Ampeln mit Sensoren und Steuerungslogik versieht, die mich bei einer leeren Kreuzung mal eben schnell durchwinken. Denn nichts ist nervender, nichts ist sinnloser, und nichts ist eine deutlichere verkehrspolitische Bankrotterklärung als das dauernde Herumstehen vor freien Straßen. Auf meine Frage, wo solche Ampelsysteme bleiben, antwortet Siemens: "Diese gibt es, die Städte haben aber in der Regel unterschiedliche Steuerungsphilosophien."

Ha! Unterschiedliche Steuerungsphilosophien! Eine schöne Formulierung für "Wir haben kein Geld oder keinen Bock, uns damit zu beschäftigen." Man muss nicht gleich so weit gehen wie der WirtschaftsWoche-Autor Christian Schlesiger, der für Radfahrer das Recht einfordert, bei Rot über die Ampel zu fahren. Aber eine Obrigkeit, die von mir verlangt, dass ich mich an ihre Regeln halte, sollte sich mit der Ausgestaltung dieser Regeln verdammt noch mal etwas mehr Mühe geben. (grh)