Menschen aus dem Labor?

Analysieren und editieren kann man Gene schön länger, doch das Projekt HGP-write will jetzt noch einen großen Schritt weiter gehen: Sie plant die Produktion eines komplett künstlichen menschlichen Genoms.

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Von
  • Antonio Regalado

Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Geschäftsleuten hat vorgeschlagen, ein menschliches Genom von Grund auf zu synthetisieren. Damit zieht sie heftige Kritik auf sich, weil sie die bedeutenden ethischen Fragen ignoriere, die ein solches Vorhaben aufwirft.

Der Vorschlag, Anfang Juni vorlegt in einem zweieinhalb Seiten langen Brief im Fachmagazin Science, besteht darin, synthetisch erzeugte DNA aneinander zu reihen und so ein menschliches Genom zu erzeugen, das in einer Petrischale existiert. Seine Hauptautoren sind Jef Boeke vom Langone Medical Center der New York University und der Biotechnologe George Church von der Harvard Medical School.

Ein anderes Team hat bereits Bakterien mit Genen aus dem Labor produziert, doch das menschliche Genom ist deutlich umfangreicher. Die Befürworter des neuen Plans mit der Bezeichnung HGP-write argumentieren, ein solches Megaprojekt könne dazu führen, dass die Kosten für die Herstellung künstlicher DNA innerhalb von zehn Jahren um den Faktor 1000 sinken. Dies ermögliche revolutionäre Fortschritte in Medizin und Forschung. Über die dahinter verborgene ethische Debatte aber äußern sich die 25 Autoren nicht: Werden wir in der Lage sein, Menschen mit künstlichen Genomen hervorzubringen, und wenn ja, sollten wir das tun?

Immerhin hat Church, ein übersprudelnder Futurist, dessen Einfluss in dem Brief gut zu erkennen ist, große Fragen wie diese schon in der Vergangenheit nicht nur gestellt, sondern auch deutlich beantwortet. In seinem Buch “Regenesis: How Synthetic Biology Will reinvent Nature and Ourselves“ aus dem Jahr 2012 erklärt er, die Produktion von Menschen mit Genomen aus dem Labor, die immun gegen sämtliche Viren einschließlich HIV und Herpes sind, sei der "Höhepunkt" der synthetischen Biologie.

Church ist eine bunte und einflussreiche Persönlichkeit, dessen Studenten große Bereiche von Gentechnik und -innovation dominieren. Er scheut sich auch nicht, sich für genetisch manipulierte Menschen auszusprechen. Beispielsweise ist er dafür, mit Hilfe von Gen-Editierung bestimmte Gene vor der Geburt zu reparieren.

Die Produktion von kompletten Genomen öffnet allerdings die Tür zu noch umfassenderen und anderen Arten von Eingriffen. Am stärksten begeistert sich Church für das so genannte „Recoding“, bei dem Buchstaben des Genoms stark verändert werden, um das Eindringen von Viren zu verhindern.

Um diese große Idee zu verstehen, muss man wissen, dass DNA Informationen mit Hilfe von drei Buchstaben codiert. Wenn Zellen Proteine herstellen, verraten ihnen diese "Kodone" aus drei Buchstaben, welche Aminosäure sie zu dem entstehenden Protein hinzufügen sollen; andere Kodone sagen ihnen, wann sie aufhören sollen. Ein wichtiges Merkmal dieses Codes ist, dass manche Kodone redundant sind – sie stehen für dieselbe Aminosäure.

Bei Churchs Recoding-Idee geht es deshalb darum, das Genom so zu überarbeiten, dass die redundanten Kodone verschwinden – und zusammen mit ihnen einige weitere Gene, die von ihnen gebraucht werden, um bei der Proteinproduktion zu helfen. Denn ohne diesen Mechanismus sind eindringende Viren nicht mehr in Lage, sich selbst zu kopieren, weil sie dafür die jetzt fehlenden Kodone benötigen.

Die Gruppe hinter HGP-write gibt an, sie wolle 100 Millionen Dollar Kapital aufnehmen, um innerhalb von zehn Jahren ein menschliches Genom zu synthetisieren, aber nur in einer Petrischale. "Ziel dieses Projekts ist es, große Genome in Zellen zu entwickeln und zu testen, und mehr auch nicht", sagt Nancy Kelley, die zu den Autoren des Aufsatzes gehört und als "leitende Führungskraft" für das Projekt aufgeführt wird. Die bisherige Arbeit, darunter zwei geplante Treffen, wird von einer Spende von 250.000 Dollar von dem Software-Unternehmen Autodesk finanziert, gezahlt an das von Kelley geleitete Center of Excellence for Engineering Biology.

Skeptiker stören sich daran, dass in dem Science-Brief nicht die Möglichkeiten erwähnt werden, gegen Viren immune Menschen zu produzieren. Viel ist darin von "Zellen" die Rede, die resistent gegen Viren oder Krebs sein oder andere verbesserte Eigenschaften haben könnten. Aber wer würde sich schon mit Zellen zufrieden geben? In seinem Buch schreibt Church stattdessen genau dieselben Sachen über Menschen.

In einer E-Mail bestätigt Church, dass die Vorschläge in seinem Buch als Nächstes umgesetzt werden könnten, wenn Technologien zum Schreiben von Genen entwickelt sind; Ziel von HGP-write sei das aber nicht. "Unser Projekt schenkt diesen längerfristigen Folgen durchaus Aufmerksamkeit", schreibt er.

Solche unausgesprochenen Möglichkeiten sind für Laurie Zoloth, Professorin für Religion und Bioethik an der Northwestern University, beunruhigend. "Mir ist nicht klar, ob sie verstehen, dass der erste Schritt, also der Anfang eines solchen Projekts, die Frage sein muss: Ist das eine gute Idee?", sagt sie. Neue Genome mittels Geschlechtsverkehr zu erzeugen, sei "eine der letzten Sachen, die Menschen noch selbst machen, mit Freude und Glauben, und sie machen es nicht für Profit. Wenn so etwas im Labor passiert, wird es zum Massenprodukt."

Beunruhigend findet Zoloth auch, dass ein derart ambitioniertes Projekt von Autodesk vorangetrieben wird, einem mittelgroßen Software-Unternehmen mit wenig Bedeutung im Bereich Biomedizin. In zwei Beiträgen auf Medium.com wies das Unternehmen die Idee von Menschen aus dem Labor vergangene Woche zurück. "Tut mir leid, wenn ich Sie enttäusche, aber hier werden keine synthetischen Menschen produziert", schrieb Andrew Hessel, Futurist bei Autodesk.

Church aber hält daran fest: Neue Arten von Menschen hervorzubringen, sei das letztliche Ziel von derartiger Technologie.

(sma)