Angetestet: Erstes Tango-Smartphone Lenovo PHAB2 Pro

Das erste Smartphone mit Googles Raum-Trackingtechnik Project Tango kommt im Herbst: Wir konnten das PHAB2 Pro schon antesten. Das Gerät beherrscht durchaus beeindruckende Kunststücke, die Frage ist aber: Wozu sind die eigentlich gut?

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Angetestet: Erstes Project-Tango-Smartphone Lenovo PHAB2 Pro

(Bild: c't Magazin / Stefan Möllenhoff)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen

Googles Raumtracking-Technik Project Tango gab es bislang nur in Entwicklergeräten: Einmal in einem Smartphone (Codename "Peanut") und einem 7-Zoll-Tablet ("Yellowstone"). Nun hat Lenovo das erste Smartphone mit Tango-Technik (ab sofort ohne "Project") für Verbraucher angekündigt: Das Lenovo PHAB2 Pro soll im September für 499 Euro in den Handel kommen. c't konnte das Gerät bereits antesten.

Auf den ersten Blick sieht das 6,4-Zoll-Smartphone nicht viel anders aus als andere Phablets – es ist allerdings ein wenig dicker, wenn auch bei weitem nicht so klobig wie die beiden Tango-Entwicklergeräte. Auffällig allerdings: Statt einem einzelnen Kameraobjektiv findet man gleich fünf Öffnungen auf der Rückseite: Eine für die (konventionelle) RGB-Kamera, eine für den Time-of-Flight-Tiefensensor, eine für die Infrarot-Lichtquelle, eine für die Foto-LED und eine für die zusätzliche Weitwinkel-Kamera – letztere hilft dem Smartphone dabei, bei schnellen Kameraschwenks nicht den Faden beim Stitching zu verlieren.

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Der Time-of-Flight-Sensor, das Herzstück des Project-Tango-Smartphone, wurde übrigens in Österreich und Deutschland entwickelt: Das Time-of-Flight-Modul IRS1645C (Markenname REAL3) von Infineon und der Siegener Sensor-Schmiede PMD Technologies schickt mit Laserdioden gepulstes Infrarotlicht in den Raum und kann mit seinem Time-of-Flight-Sensor für jedes Pixel den Abstand ermitteln. Das Modul erreicht eine Auflösung von 224 × 172 Pixeln, und gibt neben einer Tiefenkarte parallel auch ein Helligkeitsbild (schwarz-weiß) aus.

Während die Technik auch von anderen Herstellern eingesetzt wird (zum Beispiel steckt in der zweiten Kinect-Kamera ebenfalls ein Time-of-Flight-Modul), betont Infineon, dass es sonst keinen Hersteller gibt, der Pixelmatrix, Ansteuerung, ADCs und Schnittstelle auf einem einzelnen Chip integriert – nur dadurch seien für Smartphones geeignete Baugrößen möglich. Laut Infineon bezeichnet den Sensor als "kleinste 3D-Kamera der Welt".

Ansonsten steckt im PHAB2 Pro Hausmannskost: 6,4 Zoll großes LC-Display mit 2560 × 1440 Pixeln, Qualcomm Snapdragon 652 mit 4 GByte RAM, 64 GByte interner Speicher. Wer auf den zweiten SIM-Kartenslot verzichtet, kann hier auch mit einer microSD-Karte den Speicher erweitern. Der Akku fasst 4050 mAh, als Betriebssystem kommt Android 6.0 (Marshmallow) zum Einsatz.

c't-Hands-on: Project-Tango-Smartphone Lenovo PHAB2 Pro (8 Bilder)

So sieht es aus, dass Lenovo PHAB2 Pro: Ähnlich wie andere Smartphones, nur die vier Sensor-Öffnungen fallen aus dem Rahmen.
(Bild: c't Magazin / Stefan Möllenhoff)

Übrigens: Das Betriebssystem ist nicht speziell an das PHAB2 angepasst, denn Android 6.0 unterstützt Project Tango nativ. Die Tango-Demoanwendungen, die wir ausprobieren konnten, waren durchaus beeindruckend. Unter anderem gab es mit "Domino World" eine nette Augmented-Reality-Demo, in der man Dominosteine perspektivisch korrekt und mit Schattenwurf auf Objekten im Raum platzieren konnte (siehe Video). Das Ganze klappte deutlich flüssiger und vor allem stabiler als mit konventionellen Augmented-Reality-Apps, die ausschließlich das RGB-Kamerabild auswerten.

Praktisch fanden wir auch das Mess-Tool "Measure It": Um beispielsweise die Breite eines Tisches auszumessen, hält man einfach die Kamera hin und tippt aufs Display – die Messpunkte rasten automatisch an den Rändern ein. Neben Längen kann man auch Flächen und Volumina von Objekten ausmessen.

Wie viel Potenzial noch in Project Tango steckt, zeigte dagegen das bordeigene Tool "Tango Mapper": Bewegt man sich mit dem Smartphone im Raum, wird nach und nach ein ziemlich ordentliches 3D-Modell aufgebaut.

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Trotz hübscher Demos: Eine Killer-Anwendung für Project Tango zeichnet sich bislang nicht ab – weshalb auch zwangsläufig die Frage im Raum steht: Wozu braucht man das als Normal-Anwender eigentlich? Für mehr als Freunde und Bekannte beeindrucken vermutlich erstmal nicht. Denkbar wären zwar zum Beispiel Indoor-Navigationsanwendungen in komplizierten Umgebungen wie Flughäfen; doch lohnt sich die Entwicklung solcher Systeme erst, wenn genug Menschen ein Tango-Telefon in der Hosentasche haben – das klassische Henne-Ei-Problem.

Richtig interessant könnte Tango noch für Virtual Reality werden. Bisherige VR-Headsets benötigen externe Kameras oder Sensoren fürs Positionstracking, mit Project Tango könnte das Tracking komplett im Headset ablaufen – der Fachbegriff dafür lautet "Inside-Out-Tracking". Google hat mit Daydream ja bereits ein neues VR-System angekündigt und auch schon angedeutet, dass man sehr eng mit den Tango-Entwicklern zusammenarbeite. Fraglich ist allerdings, ob man mit Tango tatsächlich so latenzarmes Raum-Tracking hinbekommt wie bei High-End-VR-Headsets mit externen Sensoren à la Oculus Rift oder HTC Vive.

Langfristig könnte übrigens auch noch ein weiteres Infineon-Produkt für Tango und VR interessant sein: Der zusammen mit Google entwickelte Sensorchip Soli nutzt statt Infrarot-Blitzer 60-GHz-Mikrowellen. Die Technik eignet sich ausgezeichnet zur Erfassung von Hand- und Finger-Gesten – die futuristischen Interfaces aus Sci-Fi-Filmen wie "Minority Report" rücken also in greifbare (sic!) Nähe. (jkj)