Eine deprimierende Antwort

Wissenschaftler haben in einem neuen Paper das Vorkommen der Krankheit Krebs neu interpretiert. Doch Erkrankten ist damit nicht geholfen.

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"Warum ich?" – in schwachen und weniger hoffnungsvollen Momenten im Verlauf einer Krebserkrankung mag sich der Patient diese Frage stellen. Aus einem Paper in der Zeitschrift Biotechnology & Biotechnological Equipment könnte eine für den Patienten noch deprimierendere Antwort (als die Diagnose der Krankheit selbst) hervorgehen. Die zwei Autoren interpretieren Krebs als letzten Sicherheitsmechanismus der Evolution, der verhindern soll, dass schadhaftes Erbmaterial im Genpool weitergegeben wird.

Das ist alles nur eine Hypothese, betonen Rumena Petkova und Stoyan Chakarov von der Sofia University in Bulgarien in ihrem Aufsatz. Beweise führen sie nicht an – wie auch? Welchen Nutzen hat es also, Krebs statt anstelle von zerstörerischen Zellen als eine Sicherheits- und Korrekturfunktion zu sehen? Die Forscher argumentieren, dass diese Sichtweise dabei helfen könnte, die Krankheit besser zu verstehen, und eine Erklärung liefern könnte, warum es so schwierig ist, wirksame Therapien zu entwickeln.

Sie weisen auf die Sicherheitsmechanismen hin, die der menschliche Körper entwickelt hat, um Fehler in der DNA zu reparieren. Dazu zählt etwa die Apoptose. Dabei handelt es sich um den so genannten programmierten Zelltod. Er sorgt dafür, dass kranke oder alte Zellen absterben. Der Mechanismus läuft bei vielen Erkrankungen aus dem Ruder. Bei Krebs wird davon gesprochen, dass er ausgehebelt wird. In der Sichtweise von Petkova und Chakarov müsste man wohl davon sprechen, dass die Apoptose nicht greift und folglich der "wirksamere" Mechanismus, das Ausbilden von Krebszellen, zum Einsatz kommt.

Die Autoren vergleichen diesen Mechanismus mit dem Tod im Alter. Beides (Apoptose und Krebs) "schützt das Leben auf der Erde, so wie wir es kennen, vor der Auslöschung", so die Wissenschaftler. Bedenkt man aber, dass Krebs oftmals im hohen Alter auftritt, erscheint der Erklärungsversuch der Krankheit als "Korrektur" des Genpools irritierend: Betroffene haben dann bereits Kinder bekommen und somit ihre Erbinformationen weitergegeben.

Ausgehend von ihrer Hypothese fällt dann auch die Einschätzung der Autoren von modernen Krebstherapien entsprechend entmutigend aus: "Ihr Versagen kann somit nur erwartet beziehungsweise vorausgesetzt werden." Nichtsdestotrotz räumen sie "dem aktuellen Stand der Medizin und der künftigen Entwicklung das Potenzial ein, um den Fortschritt zu Krebs im Endstadium zu verlangsamen, so dass die Lebenserwartung und die Lebensqualität von an Krebs erkrankten Personen zu denen von gesunden Personen im Alter vergleichbar sein kann."

Das alles ist vielleicht ein versöhnliches Fazit für die Krebstherapie – doch der vordergründige Versuch, das Auftreten von Krebs zu erklären, ist für Betroffene eine wenig hoffnungsvolle Interpretation. (jle)