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Was war. Was wird. Von Nachahmern und Vortäuschern.

"Cyber ist wirklich ein Ding der Zukunft und der Gegenwart", sagt der Präsidentschaftskandidat des US-Republikaner. Hal Faber sucht hektisch nach dem Facepalm-Emoji.

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Was war. Was wird. Die Moritat vom Quäntchen Glück und Quäntchen Pech

Agrieborz. Skulptur von Nick Ervink, zu sehen in der Ars Electronica-Ausstellung bei Volkswagen in Berlin.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** In dieser Woche schrieb der Journalist Heribert Prantl, dass das Internet eine Nachahmer-Provokationsmaschinerie sei und zugleich eine Hysterie-Maschinerie. Das ist bezogen auf das ganze Internet in seiner Vielfalt eine arge Vereinfachung, aber Prantl ging es um den Amokläufer von Würzburg mit seiner selbst gemalten Fahne des Daesh. Er verglich seine Tat mit dem Piloten der Germanwings-Maschine, den Amokläufern in Erfurt und Winnenden; und er hätte noch den jugendlichen Täter von München nennen können, aber das passierte später. Er hätte auch die hasserfüllten Amokläufer von Littleton hinzunehmen können. Alles jugendliche Amokläufer, die sich ausgeschlossen fühlten und ihre Tat übersteigerten, etwa mit einer Fahne und einem Bekenner-Video, um den Schrecken noch schrecklicher zu machen. Deswegen sollten weder Bilder noch Videos gezeigt werden, wegen der Nachahmer da in diesem Internet. Nicht zu vergessen, die Ballerspiele, die von allen gespielt wurden und die Morde des Rechtsterroristen Breivik. Alles ist Vorbild und alles im Internet erreichbar.

*** Nun liegt eine "heroische Gelassenheit" über München, behauptet die Münchner Süddeutsche Zeitung, während die Hamburger Zeit von einer "unbekannten Schwere" über der Stadt spricht und sich an die Ehrenrettung des Internets macht. Denn das viel gescholtene Internet erwies sich gerade in München mit #offenetür als weitaus besser als die Politiker, die prompt Muslime und/oder Flüchtlinge in Kollektivschuld nahmen und harte Maßnahmen forderten. Oder die mit dieser obzönen Wendung vor die Mikrofone traten, man sei in Gedanken bei den Familien der Opfer -- und auch das noch von einem Zettel ablesen müssen.

*** Alles andere als gelassen präsentiert sich die Türkei. Dort ist aus dem Kampf gegen die Putschisten ein Erdogan-Dschihad mit Massenentlassungen aller Art geworden. Aktuell werden 934 Privatschulen und Universitäten geschlossen, die Gewerkschaften aufgelöst und die zwischenmenschliche Brutalität kultiviert. "Noch gespenstischer sind eigentlich nur die verhaltenen Phrasen europäischer Politikerinnen und Politiker, die sich anscheinend nicht verhalten wollen zu dem Geschehen und so tun, als könnten sie sich nicht dazu verhalten." In dieser Woche hat Wikileaks fast 300.000 E-Mails an Politiker der Erdogan-Partei AKP veröffentlicht, offenbar gegen den Willen des mit den Kurden sympathisierenden Hackers und dies auch noch vorzeitig, das Ende der Hack-Aktion nicht abwartend. Im ersten Batch wurden die Mailboxen A-K ausgelesen und L-Z sollten folgen. Neben der Erkenntnis, dass Fehlermeldungen en masse von einem schlecht gewarteten Mail-System künden, wissen wir jetzt, dass viele Türken ihre Nachbarn anschwärzen. Das ist beim Erdogan-Putsch nach dem Militär-Putsch eine ebenso bedrückende Erkenntnis wie die Tatsache, dass Wikileaks die Bitte ignorierte, mit der Veröffentlichung zu warten. Das Spiel von Verpfeifen und öffentlichen Auspfeifen a.k.a. Whistleblowing folgt den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie, nicht den Bedürfnissen derjenigen, die sich im neuen Dschihad orientieren müssen.

*** Jede Stimme für Hillary ist eine Stimme für einen endlosen, dummen Krieg. Auch die Veröffentlichung von E-Mails führender Mitglieder des Demokratischen Nationalkongresses durch Wikileaks folgt diesem Schema. Zensur findet nicht statt, Schutz von Bürgern aber auch nicht: Wer Schmutz und Zank in der Partei an die Öffentlichkeit bringen will, müsste mindestens die Parteispender anonymisieren, deren Adressen, Sozialversicherungsnummern und Kreditkarteninformationen jetzt frei zugänglich sind. Wie diese Veröffentlichung Bernie Sanders helfen soll, sich doch noch bei den Demokraten als Präsidentschaftskandidaten durchzusetzen, ist schleierhaft. (Die andere Lesart, hier bei den Heise-Foristen, dass der Narziss Assange den Narziss Trump unterstützten will, ist noch abgedrehter.) Da wird einer von Sanders Vertrauten in der Mail als "verdammter Lügner" von Parteichefin Debbie Wasserman Schultz bezeichnet oder Clintons neuer Partner Tim Kaine als Fatzke. Solche Gehässigkeiten und Rücksichtlosigkeiten dominieren die e-Mails. Wenn das schon Skandale sein sollen, dann wäre Herbert Wehner mit seinen Schimpfworten über Parteigenossen und andere Politiker reif fürs Gefängnis.

*** Geht es nach dem Willen der Republikaner unter ihrem neuen Kandidaten Donald Trump, so müsste Hillary Clinton angeklagt und ins Gefängnis gesteckt werden. Sie soll buchstäblich an allem Schuld sein, was Trump in düsteren Bildern ausmalte. Amerika hasst wieder und der Hass kennt keine Grenzen. Der hier schon häufig erwähnte Star-Investor Peter Thiel ist dabei und stolz, ein schwuler Amerikaner zu sein, der seine Meinungsfreiheit als erbitterter Philantrop verteidigt. Donald Trump, bisher ein Problem der Republikaner, ist in dieser Woche eine Herausforderung geworden, der sich die Nation stellen und sie besiegen muss heißt es in der Washington Port, die einem gewissen Jeff Bezos gehört. Wer sich noch nicht mit Trump beschäftigt hat, sollte einen Artikel über seinen Ghostwriter lesen, gegen den Trump juristisch vorgeht.

*** Aber wir hier sind ja schwer im Cyber, nicht nur unsere Bundeswehr mit ihrem Cyberraum und Cyberkarrierepfaden von den Soldaten bei Wir.Klicken.Deutschland. Auch die größte Militärmacht der Welt beschäftigt sich mit dem Cyber-Thema, schließlich sind die USA das einzige Land, das dem Daesh den Cyberwar erklärt hat. In dieser Hinsicht hatte Trump in einem ersten Interview so dargestellt, dass die USA in den Dingen hinterherhinke, obsolet sei und dies ein Fehler der Politiker sei. Befragt, ob die USA sich im Cyberraum nicht nur verteidigen, sondern auch angreifen müsse, antwortete Trump im neuesten Interview, er sei ein Fan der Zukunft und Cyber sei halt die Zukunft. Zuvor war der Dialog so surreal, dass man sich fragte ob er überhaupt versteht, was Cyberwar ist:

Interviewer: Wir sind regelmäßig Cyberangriffen ausgesetzt. Werden Sie Cyberwaffen einsetzen, ehe Sie militärische Gewalt einsetzen?

Trump: Cyber ist wirklich ein Ding der Zukunft und der Gegenwart. Schauen Sie, wir liegen unter Cyberangriffen, aber vergessen das. Wir wissen nicht einmal, von woher sie kommen.

Interviewer: An einigen Tagen wissen wir es, an anderen Tagen nicht.

Trump: Weil wir obsolet sind. Gerade jetzt, besonders mit Russland und China und anderen Plätzen."

Was wird.

In diesen Tagen wird wieder an die tollen Leistungen der KI-Forschung erinnert, weil sich vor 60 Jahren die wichtigsten Vertreter dieser neuen Forschungsrichtung trafen und sechs Wochen lang debattierten, was zu tun ist, bis die Geburt der Denkmaschine angekündigt werden kann. Ein lustiges Völkchen voller Optimismus, das sicher erstaunt gewesen wäre, dass die Frage What to think about machines that think die Leute dermaßen rumtreibt. Die schönste Antwort auf die Frage kam vom Philosophen Daniel C. Dennett in Bezug auf die technologische Singularität, dem Zeitpunkt, an dem die KI a.) entweder dem Menschen überlegen ist und sich selbst entwickeln kann oder b.) die Technik soweit ist, dass der Mensch als KI in die Maschinen Einzug halten kann und auf der Festplatte weiter lebt. Dennett verknüpfte die Frage nach der Singularität mit dem Turing Test: Sie tritt ein, wenn die denkenden Maschinen so intelligent sind, dass sie den Menschen beschwindeln können, dass die Singularität da ist und der Mensch keine Möglichkeit hat, diesen Schwindel zu prüfen.

60 Jahre nach Dartmouth sind wir bescheidener geworden und wollen nur noch selbstfahrende Autos und ein bisschen Ethik, wer wann wen überfahren darf. Derweil ist der Philosoph Dennett am Verzweifeln und hat eine ganz unphilosophische Frage: Er hat auf einem Flohmarkt einen Roboterhund gekauft und weiß nichts über ihn. Immerhin hat er schon einen Namen, Tati, eine Hommage an Jaques Tati. Dieser kleiner Schlenker ist ein überaus dezenter Hinweis darauf, dass wie immer in den vergangenen Jahren das Sommerrätsel ansteht, diesmal in den Sparten Robotik, Weltraumgeschichten und, als Special vor der Party ein Rätsel zu 20 Jahren heise online.

Die Darthmouther KI-Forscher 10 Jahre nach ihrem ersten Treffen anno 1966.

(vbr)