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Was war. Was wird. Von kriegerischen Vätern und friedlichen Vorräten

Was der Vater aller Dinge ist, darüber kann man trefflich streiten. Der Krieg ist es eher nicht, betont Hal Faber, der noch etwas angeschlagen von der User-Party zum 20Jährigen von heise online vor sich hin grübelt.

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Was war. Was wird. Von kriegerischen Vätern und friedlichen Vorräte

Auch die Enten kamen zu Besuch, als im Heise-Park am Samstag auch die User das 20Jährige von heise online feierten. Gestandene Männer wurden wieder zu Kindern - und auch Frauen, wie Hal Faber anmerken möchte.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Geschenke! Geschenke! Die gab's auch zur User-Party von heise online, etwa die Homingberger Gepardenforelle, liebevoll gestaltet von angelwing. Und die Sockenpuppe darf natürlich nicht fehlen.

*** Πόλεμος πάντων μὲν πατήρ ἐστί, πάντων δὲ βασιλεύς, καὶ τοὺς μὲν θεοὺς ἔδειξε τοὺς δὲ ἀνθρώπους, τοὺς μὲν δούλους ἐποίησε τοὺς δὲ ἐλευθέρους

Offizielle Übersetzung: Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien.

Über diesen, von Dritten überlieferten Satz von Heraklit lässt sich trefflich streiten. Genau, streiten, denn Polemos kann man mit Streit, Konflikt oder Krieg übersetzen. Dass der Krieg der Vater aller Dinge sein soll, ist am Ende gar eine üble Verhunzung, die Mutter von der Leyen zurückweisen müsste als Genderquatsch. Den Streit, die produktive Auseinandersetzung mit den Argumenten anderer als Ur-Ding zu begreifen, das tat ein gewisser Robert Havemann in der DDR im Sommer 1956 mit seinem Text Meinungsstreit fördert die Wissenschaften. Am 25. August 1956 wurde Havemann für sein Eintreten für Meinungsfreiheit scharf kritisiert und wurde fortan von der Staatssicherheit überwacht. Freie Meinungen in der Wissenschaft waren schlichtweg unerwünscht im wissenschaftlichen Sozialismus. Havemanns "Rückantworten an die Hauptverwaltung "Ewige Wahrheiten" sollten heute in jedem modernen "Schulbuch" stehen bzw. auf dem schicken Schul-Tablet abrufbar sein, tun sie aber nicht.

*** Das ist schade für ein Land, in dem Innenminister ewige Wahrheiten verkünden, wie diese, dass Gesichtserkennung funzt und schleunigst eingesetzt werden sollte, im Krieg gegen die Terroristen. Die Behörden müssen technisch alles können, was ihnen rechtlich erlaubt ist? Wo die Technik unter Laborbedingungen mit ausreichender bimodaler Biometrie gute Bilder bekannter Krieger haben muss, damit sie Alarm schlagen kann. Längst ist nicht entschieden, ob die rechtlich erlaubte Suche im Bilderstrom das Recht auf Anonymität verletzt. Darüber lässt sich trefflich streiten, auch in kriegerischen Zeiten.

*** Wenn heute Krieg in Deutschland geführt wird, wird es ein Krieg mit dem Beschuss der einfachsten Ziele sein, also ein Cyberkrieg, der gegen die kritischen Infrastrukturen wie Strom, Wasser und Späti geführt wird. Für diese ist in jedem Bundesland artigst separiert der Katastrophenschutz zuständig, wenn die Katastrophe von einem Landrat ausgerufen ist. Bundesweit unterliegt die Katastrophe der Fachaufsicht des Innenministeriums und so ist der Zivilschutz fest in der Hand von Vater de Maizière, demnächst Bundeskanzler dieser Republik. Sein neues Konzept der zivilen Verteidigung hat zu zahlreichen Diskussion über Hamsterkäufe geführt. Gemeint ist nicht der Kauf eines Goldhamsters für Frau Malzahn oder der der Schutz des aussterbenden Cricetus Cricetus, sondern der so beschriebene Selbstschutz. Zehn Tage, länger geht der Krieg nicht.
"Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln für einen Zeitraum von zehn Tagen vorzuhalten, um durch entsprechende Eigenvorsorge die staatlichen Maßnahmen zu unterstützen."
"Seitens der Streitkräfte besteht lediglich eine begrenzte Vorhaltung von Verpflegung für die Durchführung von Einsätzen, die eine durchhaltefähige Versorgung der Kräfte der Bundeswehr insgesamt nicht sicherstellt. Zusätzlicher Bedarf ist bei den Planungen zu berücksichtigen und über die privatwirtschaftlich organisierte Lebensmittelwirtschaft über den freien Markt zu organisieren."

*** Feuer und Flamme für unseren Staat, der im Kriegsfall auf die Lebensmittelwirtschaft setzt? Wie kocht man eigentlich weiter? Wie schön, dass man uns die Freiheit lässt, individuell zu bestimmen, was zum Überleben gehört – sofern man nicht Hartz IV bezieht, wo die Eigenvorsorge nicht bezahlt wird. Unterstützen wir den Plan mit 40 Liter Wein, 5 Kilo Nudeln 5 Kilo Zwiebeln und Knoblauch, 20 Liter Tomatenmark und diesem gräßlichen Parmesan in der "Grosstüten-Frischepackung". Oder wie wäre es mit TTT: Trinkwasser, Tütensuppen und Tofu, auch das in Kilo-Mengen. Der Glaube, dass mit solchen Vorräten eine irgendwie geartete "Resilienz" der Bevölkerung erreicht wird, erinnert an die Ratschläge des letzten Jahrhunderts, sich beim Atomblitz schnell unter die Schultische zu bücken und dann Jodtabletten zu kauen. Wo bleibt eigentlich das deutsche Startup, das fix auf das Innenministerium reagiert, die Geschäftsidee des durchgeknallten Alex Jones klont und auch bei uns Infowars-Notpakete anbietet, in den Geschmacksrichtungen Vegan und Grappa?

*** "S'ist Krieg, ist Krieg, Hurra, wir ziehen in den Krieg!" Natürlich hat sich auch unsere Bundeszentrale für politische Mobilmachung nicht lumpen lassen und ein passendes Heftchen veröffentlicht, das es in sich hat. Allein die Geschichte über "Propaganda und Desinformation" am Beispiel von Russia Today und Sputnik ist es wert, in die Geschichte des Kalten Kriegs 2.0 aufgenommen zu werden. Abseits von diesen erwähnten zweifelhaften Angeboten ist es schon interessant, wie Putin die ihm genehme Front National von Marine le Pen auf dem Weg zur Macht unterstützt. Nicht minder interessant ist die Forderung nach einem alternativen russischsprachigen Sender, der mit Russia Today konkurrieren kann und Gegenpropaganda betreibt. Das Radio Free Europe lässt grüßen. Psst, der eine oder andere Nachrichtendienst wird sicher Geld für diese Idee haben. Man könnte es jahreszeitlich passend Operation Sommerregen nennen, der Name ist ja wieder frei.

Was wird.

Ja, dieser Sommer hat es in sich. Diese kleine Wochenschau entsteht während und kurz nachdem heise online friedlich feiert im schönen Hannover, unterstützt von der ultimativen Playlist. Kein schwarzer Hubbschrauber landet diesmal nächtens auf dem Heise-Parkplatz, unauffällig wechselt stattdessen im Trubel des Forenfünfkampfes ein USB-Stick mit dieser Wochenschau den Besitzer, ganz ohne Geheimversteck im Rubiks Cube, wie Snowden Daten aus der NSA entwendete. Die Party findet in sportlicher Konkurrenz zum Bundesinnenministerium statt, das in Berlin zum regierungsweiten Tag der offenen Tür den Krieg als Cybercrime im PC durchspielt. Wenn von Cybercrime abseits des PC die Rede ist, dann wird regelmäßig über das "Darknet" geredet und spekuliert, zuletzt in der Berliner Erklärung christlicher Politiker, die selbiges mit Polizisten und Geheimdienstlern fluten wollen. Am 1. September freuen sich genau diese Cyber-Polizeien über einen arbeitsfreien Tag, an dem sie nicht untersuchen müssen, ob "Impulse" harmlose Webseiten aufrufen oder ins dunkle Netz verzweigen. Zum Monatsanfang soll TOR dank #torstrike für einen Tag abgeschaltet werden. Das Ganze soll ein Protest dagegen sein, wie unfair Tor mit dem armen Jacob Appelbaum umgegangen ist. Die Kinderei ist bemerkenswert für ein Projekt, dass sich dem Schutz von Dissidenten verpflichtet fühlt. Oder ist das egal, wie auch schon mal behauptet wird, dass es sich "in erster Linie um ein Projekt einer Handvoll selbsterklärter Anarchist/innen einer US-amerikanischen Software-NGO [handelt], die sich in Berlin gerne als Exilant/innen inszenieren." Welchselbige passend zum Streik mit #torfork zuschlagen. Was für ein #tordrama!

Fischwerfen kann IRL eine recht feuchte Sache sein.

Heute vor 100 Jahren wurde C. Wright Mills geboren, der Soziologe, der den Unterschied zwischen blue collar workers und white collar workers erkannte und theoriefähig machte. Heute wissen wir, dass die weißen blue collar workers Trump wählen werden, weil er ihnen die Scham nimmt, Essensmarken annehmen zu müssen. Das ist im düsteren Amerika ganz OK, solange die Marken an echte Amerikaner gehen. Dank all dieser Roboter und Systeme wie Watson geht es aber auch den white collars an den Kragen. Die Wissensarbeiter werden obsolet, wenn Wissen KI macht und nicht Ah!. Wird so der Kapitalismus zerstört, ganz ohne seinen Gegenspieler Sozialismus? Eine spannende Frage, über die man sich trefflich streiten kann: Das Sommerloch ist zu. (jk)