Hoffnung für die Alzheimer-Therapie

Trotz intensiver Forschung ist bislang kein einziges Medikament gegen Alzheimer auf dem Markt. Ein neuer Wirkstoff von Biogen jedoch zeigt bemerkenswerte Wirkung – und könnte so auch den Streit über die Ursachen der Krankheit beenden.

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Von
  • Antonio Regalado
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Ein von Biogen entwickelter Antikörper zur Bekämpfung von Ablagerungen im Gehirn ("Plaques") könnte zur ersten echten Therapie gegen Alzheimer werden und eine lange Diskussion über die wahren Ursachen dieser Krankheit beenden.

In Tests des Medikaments namens Aducanumab an 165 Patienten sind die Amyloid-Plaques bei denjenigen Probanden, die mit der Höchstdosis behandelt wurde, laut des Unternehmens Biogen fast vollkommen verschwunden. Die Ablagerungen gelten allgemein als der Faktor, der Nervenzellen sterben lässt und zum Gedächtnisverlust führt.

Noch hat kein einziges Medikament gegen Alzheimer den Markt erreicht, und sehr viele Kandidaten haben in Tests versagt. Dabei steht viel auf dem Spiel. Nach einer Schätzung könnten die Kosten für die Tests mit Aducanumab 2,5 Milliarden Dollar betragen. Doch wenn das Mittel wirklich wirkt, könnte es für Biogen enorm profitabel sein und das Altern für viele Menschen weitaus weniger problematisch machen.

Alfred Sandrock, medizinischer Leiter von Biogen, bezeichnet es als seine größte Hoffnung, dass das Medikament breit und präventiv eingesetzt wird, so wie heute mit Statinen zur Cholesterinsenkung Herzinfarkten vorgebeugt wird. "Die Frage wird sein, ob man Menschen früher behandeln kann", sagt Sandrock. "Man könnte damit anfangen, bevor sich die ersten Symptome zeigen."

Über die Ergebnisse der Politstudie berichtete Biogen Ende August in der Fachzeitschrift Nature. Zwei größere Phase-III-Studien mit 2700 Freiwilligen haben ebenfalls schon begonnen. Sie sollen zeigen, ob das Medikament nicht nur die Ablagerungen entfernt, sondern auch Gedächtnisverlust und Todesfälle verhindert. Laut Sandrock enthalten die bislang gesammelten Daten "Hinweise" darauf, dass es das Voranschreiten der Krankheit tatsächlich verlangsamt.

"Ich würde die Daten als ziemlich spannend bezeichnen", sagt James Leverenz, Leiter des Lou Ruvo Center for Brain Health an der Cleveland Clinic. Wie andere Ärzte bekam er ab Ende vergangenen Jahres erste Informationen über die Biogen-Daten, als das Unternehmen auf Konferenzen darüber berichtete und Leverenz' Zentrum für eine Teilnahme an der größeren Studie gewinnen wollte. Fünf seiner Patienten nehmen bislang daran teil.

"Als wir das alles gesehen haben, haben viele von uns gedacht, das ist fast zu schön, um wahr zu sein", sagt Leverenz. "Also wollte ich an der Sammlung der Phase-III-Daten beteiligt sein, bevor ich mich überzeugen lasse."

Für seine Studien sucht Biogen Patienten in den frühesten Stadien der Krankheit, weil davon auszugehen ist, dass die Plaque-Bekämpfung bei ihnen am meisten hilft. Ausgewählt werden Patienten, die bereits Ablagerungen im Gehirn, aber noch kaum Symptome entwickelt haben. Die Idee dahinter ist, den Ausbruch der Krankheit präventiv zu verhindern, denn wenn Hirnzellen erst einmal tot sind, kann ein Medikament nichts mehr ausrichten.

Der Verfall des Gedächtnisses bei Alzheimer ist anders als der, den die meisten Menschen erleben, wenn sie älter werden. "Normales Altern bedeutet Schwierigkeiten beim Abrufen von Informationen – man kann sich nicht mehr an einen Namen erinnern. Fünf Minuten später fällt er einem aber wieder ein. Die Informationen sind noch vorhanden", erklärt Leverenz. Bei Alzheimer dagegen ist es nicht mehr möglich, neue Erinnerungen zu bilden.

Wenn das Biogen-Medikament wirkt, wird es auch die "Amyloid-Hypothese" weitestgehend bestätigen, also die vorherrschende Theorie, laut der Alzheimer durch Ablagerungen eines Peptids namens Amyloid beta auf dem Hirngewebe verursacht wird. Das Medikament bindet direkt an die Ablagerungen und dürfte Fresszellen namens Mikroglia dazu bringen, sich dorthin zu begeben und sie zu entfernen.

"Sehr schön gezeigt wurde, wie sich die Ablagerungen verringerten, wenn die Dosis erhöht wurde. Das ist der wichtigste Teil der Studie, und er sieht sehr überzeugend aus", sagt Steven Paul, CEO von Voyager Therapeutics. Das Gentherapieunternehmen hat einen anderen Alzheimer-Antikörper entwickelt, der derzeit von Eli Lilly getestet wird. Nach Pauls Worten ist Aducanumab der erste Wirkstoff, der die Plaques derart weitgehend verschwinden lässt.

Wenn das Medikament Patienten jedoch nicht hilft, werden Wissenschaftler vielleicht noch einmal ganz neu über ihren Ansatz nachdenken müssen. Einige von ihnen sind der Meinung, dass die Plaques nur eine Nebenerscheinung der Krankheit sind und nicht ihre Ursache.

Beunruhigende Nebenwirkungen hat das Medikament durchaus. Bei manchen Patienten ließ es das Gehirn anschwellen, so dass sie aus der Studie ausscheiden mussten. Dies könnte das Anwendungspotenzial verringern, wenn das Mittel den Markt erreichen sollte.

Die Bedeutung eines Medikaments, das Alzheimer verlangsamt, lässt sich kaum überschätzen. Wenn sich das Voranschreiten der Krankheit um fünf Jahre verzögern ließe, so Paul, würden nur noch halb so viele Menschen darunter leiden (weil sie vorher aus anderen Gründen sterben). Nach manchen Schätzungen könnten die Kosten für die Versorgung von Alzheimer-Patienten bis 2050 allein in den USA ansonsten atemberaubende 1 Billion Dollar pro Jahr erreichen.

(sma)