Die algorithmische Animierdame

Sie tun so, als ob, sie sind virtuell und leiten uns in eine neuartige, landwirtschaftlich geprägte Kultur und sie bemühen sich, höflich zu sein: digitale Kommunikationsräume.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Es tut, als ob. Data Center voller Server tun so, als würde sich augenblicklich jemand für mich interessieren. Schaue ich bei Facebook rein, erscheinen wie zufällig in dem Moment, in dem ich erwäge, wieder auszuloggen, diese auf den Bildschirm gehauchten Kästchen, die vermerken, dass gerade jemand einen Beitrag von mir kommentiert oder gefälltmirt. Kybernetische Küsschen werden mir zugeworfen.

Die Benachrichtigungen hat der Facebook-Algorithmus sich natürlich aufgehoben, um sie mir zur passenden Gelegenheit hinzustreuen. Kommunikationskonfetti, die wortlos sagen: Bleib doch noch ein bisschen, hier ist Party. Facebook benimmt sich wie eine Animierdame, und in dem Wort steckt noch etwas, das Facebook auch zu sein versucht. Es ist ein höfliches Wort, das kaltes, kommerzielles Ködern umschreibt. Und Höflichkeit ist eine andere Bezeichnung für "So tun, als ob". Es ist eine gesellschaftlich erwünschte Form der Lüge, die dem Gegenüber ein gutes Gefühl schenken möchte.

Als Österreicher weiß ich, wovon ich rede. Die Überreste des k.u.k. spanischen Hofzeremoniells, die als die so genannte Österreichische Höflichkeit firmieren ("Wie immer, Herr Generaldirektor?"), haben das Maschinenwesen zwar erst sehr rudimentär erreicht. Aber die Algorithmen, ihre Apparate und deren Sensoren bemühen sich darum. Die Maschinen versuchen, höflich und dezent zu sein, denn die Anbieter aller algorithmisch gesteuerten Geldmelkmaschinen (wir kehren gerade zu einer Agrikultur zurück) wissen, dass Menschen nicht anders können, als darauf zu reagieren, auch wenn die Höflichkeit vollautomatisch produziert wird.

Ich mag es, dass mich das Betriebssystem meines Rechners siezt. Ich bin kein Freund der verordneten Ikea-Kumpanei, dasselbe gilt für Facebook. Höflichkeit ist auch eine Art, mit Sprache geschickt umzugehen – und eine unelegantere Art des Sprachgebrauchs, wie die zum Teil kafkaesken Sprechblasentexte auf Facebook, ist nur schwer vorstellbar (Die Facebook-Diät: "Finde deine Freunde leicht"). Ist man mit einem System wie Facebook konfrontiert, so ist die wahrhaftige Reaktion eine mitleidige Höflichkeit.

Denn solche Systeme sind unbeholfen, beschränkt und ein wenig dämlich. Sie lösen deshalb im Menschen eine Mischung aus Beschützerinstinkt und Niedlichkeitsreflex aus. Auch wenn uns feierlich Einblick gewährt wird in die hochgeheimen, hochverfügbaren, coolnessgekühlten Datenkraftwerke, die nun nach und nach Atomkraftwerke und Einkaufszentren auf der grünen Wiese ablösen: Die Algorithmen tun gerade mal so, als ob. Mit einer solchen Botschaft aber wäre die Marketingabteilung sehr unglücklich. Also möchten wir teilnehmen an einer atemberaubenden digitalen Weltenwende.

Ist man länger in solchen Systemen unterwegs, verblasst die emotionale Reaktion aus stammesgeschichtlichen Tiefen. Ein herumtapsender Algorithmus ist kein Kleinkind und kein Tierbaby. Die Maschinenhöflichkeit, so nett man sie finden mag, führt zu einer gewissenlosen Ignoranz. Warum sollte man einer Maschine gegenüber Skrupel haben, auch wenn man ihren endlosen, übermenschlichen Langmut bewundert, mit dem sie immer den selben Fehler, die selbe Eigenheit unerschütterlich gelassen quittiert?

Nachts liegt mein Smartphone im Bett, so weit ist es schon gekommen. Schon zuvor habe ich es wie ein Kängurujunges in der Hemdtasche herumgetragen und manchmal, durch eine Berührung oder ein Signal aus der Ferne, leuchtet das Display auf unter der Bettwäsche wie eine Leuchtqualle, die man in einem dämmrigen Meer berührt, und in dem dunklen Flur scheint es bläulichhell an der Wand; kurz darauf versinkt das dezente Licht wieder in dem Gerät und ich erinnere mich an eine Zeitungsmeldung, in der von Ärzten berichtet wurde, die im Dschungel im Schein von Smartphone-Displays operierten.

Nachts scheint das Smartphone mit mir einzuschlafen. Es tut jedenfalls so, als ob. Es wird dunkel und still, und erst wenn ich aufwache oder manchmal, wenn ich schlaflos bin, gibt es mir zu verstehen, dass es das bemerkt hat und versorgt mich wieder mit dem lakonischen Geräusch neu eintreffender Nachrichten. Es fragt nicht, um mich nicht zu stören und bringt nur diese neuartige, flüssige Form von Zeitung vorbei, mit der ein herkömmlicher Butler, auch der beste, ernsthafte Probleme hätte. (bsc)