"Dinge, die bisher nicht möglich sind"

Der Deutsche Hartmut Neven leitet bei Google die Entwicklung von Quantencomputern. Im Interview erklärt er, wie die Superrechner die künstliche Intelligenz voranbringen könnten.

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Er gebe nicht oft Interviews, sagt Hartmut Neven, denn sein Job führe immer wieder zu merkwürdigen Fragen. Kein Wunder: Neven, der Physik und Ökonomie studiert hat, leitet das "Quantum Artificial Intelligence Lab" von Google. Auf einem Quantencomputer von D-Wave testen er und seine Kollegen die Verknüpfung von künstlicher Intelligenz mit Quanteninformatik und entwickeln einen eigenen Quantenchip. Wenn Neven und seine Kollegen Erfolg haben, wird Google über einen Rechner verfügen, der Millionen Mal schneller arbeitet als alle heute verfügbaren Computer. Technology Review hat mit ihm am Rande der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft gesprochen.

Technology Review: Herr Neven, Sie haben im Dezember 2015 einen Test veröffentlicht, nach dem der D-Wave-Rechner unter speziellen Testbedingungen 100 Millionen Mal schneller war als ein klassischer Computer. Was bedeutet das für die Zukunft der Quantencomputer?

Hartmut Neven: Die Antwort ist leider nicht ganz so einfach zu vermitteln. Der Quantenchip hat gegen sein klassisches Pendant gewonnen. Es gibt aber andere Algorithmen, die schneller sind.

Das heißt, wir reden nur über einen theoretischen Proof of Concept?

Es ist eine Berechnung, für die mir keine praktische Anwendung einfällt. Aber wenn man den Verknüpfungsgraphen auf dem Chip dichter machen würde, also mehr Qubits untereinander verbinden würde, dann wird der Quantenrechner wahrscheinlich tatsächlich schneller als alle klassischen Chips. Dazu muss man allerdings die D-Wave-Hardware umbauen. Das versuchen wir jetzt bei Google. D-Wave probiert das auch. Wir werden sehen, wer schneller ist. Wir arbeiten auch an einer anderen Prozessorarchitektur, einem sogenannten "kurzen Quantenschaltkreis". Mit diesem wird man wahrscheinlich früher erreichen können, dass man eine Berechnung macht, die man mit einem klassischen Computer nicht durchführen kann.

Dabei handelt es sich aber noch nicht um einen universellen Quantencomputer, oder?

Nein, ein universeller Quantencomputer könnte alle möglichen Probleme lösen. Dieses hier sind Quantencomputer, mit denen man nur bestimmte Aufgaben lösen kann: sogenannte Optimierungsprobleme.

Gibt es dafür eine praktische Anwendung?

Wir haben schon eine Idee. Ich nenne sie ein Quantum Neural Network. In der Quantenchemie ließe es sich nutzen, um zum Beispiel die Energie des Grundzustandes für ein Molekül zu bestimmen. Das fällt mit heutigen Verfahren extrem schwer.

Was habe ich davon?

Man könnte zum Beispiel die Substanz Ferredoxin besser verstehen, die für die Photosynthese eine wichtige Rolle spielt.

Tut mir leid, aber das klingt immer noch sehr speziell.

Für mich geht es bei den quantenchemischen Berechnungen erst mal darum zu zeigen: Hey, schaut mal, wie gut unser neuer Algorithmus funktioniert. Wir können mit einem Quantencomputer Dinge machen, die bisher nicht möglich sind. Das sind die ersten Schritte.

Und was folgt darauf? Sie haben in verschiedenen Vorträgen gesagt, dass ein Quantencomputer auch das maschinelle Lernen voranbringen kann.

Im Prinzip kann man sich Maschinenlernen vorstellen als eine Klassifikation in einer Punktwolke. Stellen Sie sich bildlich eine Wolke von Punkten vor: Einige sind rot, andere sind blau. Das sind meine Trainingsdaten. Dann kommen neue Punkte dazu. Der Computer soll jetzt sagen, ob die neuen Punkte rot oder blau sind. Dafür benutzt er einen Klassifizierer. Wenn man aber unvollkommene Trainingsdaten hat, also Daten, die Fehler enthalten, kommt man in große Schwierigkeiten. Ein guter Klassifizierer kann erkennen, dass bestimmte Punkte in den Trainingsdaten falsch gekennzeichnet sind – also ein als rot gekennzeichneter in Wahrheit blau ist. Das gelingt ihm, indem er die neuen Daten mit den bestehenden abgleicht. Er berechnet, was es bedeuten würde, wenn die Information korrekt wäre. Wenn dadurch der Fehler bei vielen anderen Daten wieder sehr viel größer wird, ist die Information aller Wahrscheinlichkeit nach falsch. Das ist aber sehr viel aufwendiger zu berechnen als normalerweise beim Maschinenlernen. Unsere Hoffnung ist, dass Quantencomputer dabei helfen.

Wird eine Quanten-KI irgendwann ähnlich denken wie ein Mensch? Manche Theoretiker sagen, je komplexer Materie ist, desto höher ihr Bewusstseinsgrad.

Wenn man an künstlicher Intelligenz auf Quantencomputern arbeitet, kommt man nicht an der Frage vorbei, ob das Gehirn auch Quantenressourcen verwendet. Die konventionelle Antwort darauf lautet: Nein. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich wahr ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass auf der Ebene einzelner Neuronen im Gehirn etwas Ähnliches passiert wie in den Quantenschaltkreisen, an denen wir arbeiten.

Was würde das bedeuten? Hätte die Maschine Bewusstsein?

Ich habe viel über diese Frage nachgedacht, aber ich bin zu einem relativ banalen Ergebnis gekommen: Das Phänomen Bewusstsein ist den Methoden der experimentellen Wissenschaft nicht zugänglich. Einfach weil ich nicht messen kann, wie bewusst ein System ist. Bewusstsein hat etwas zu tun mit der Perspektive der ersten Person auf die Welt. Hat ein Kontrollsystem für ein Flugzeug ein Bewusstsein? Ein Baum? Oder ein Stein?

Vertreter der "Integrated Information"-Theorie behaupten, es messen zu können.

Stimmt. Leute wie der Neurowissenschaftler Christof Koch sagen, ich muss nur den Phi-Wert des Systems berechnen. Das ist extrem schwer – aber selbst wenn ich dieses Problem gelöst habe, komme ich nicht weiter. Der Wert erlaubt keine Vorhersage über das Verhalten des Systems. Es gibt nichts, was ich durch eine Messung überprüfen könnte.

Die zweite große Angst beim Thema Quantencomputer ist, dass sie jede heutige Verschlüsselung brechen können. Wäre das bereits mit Ihrem Quantenchip möglich?

Dafür bräuchten wir einen universellen, fehlergeschützten Quantenrechner. Den werden wir wahrscheinlich für viele Jahre noch nicht haben. Ich persönlich bin auch nicht am Codeknacken interessiert. Das ist ökonomisch keine interessante Anwendung. Abgesehen davon, dass auch Google sich an so etwas nicht beteiligen würde.

Geschäftsmodell ist ein gutes Stichwort. Sie sagen, Quantencomputer werden noch sehr lange nur ganz spezielle Probleme lösen können. Warum sollte jemand dafür viel Geld ausgeben?

Weil diese bestimmten Probleme unter Umständen extrem wichtig sind: die Weiterentwicklung von maschinellem Lernen, das Finden neuer Medikamente oder das Design neuer Materialien. Wenn ich zum Beispiel bessere Katalysatoren entwickeln kann, um damit die Düngemittelproduktion energetisch viel günstiger zu machen, hätte das enorme Auswirkungen auf die Welt. Es gibt viele – ich sage mal – menschenfreundliche Anwendungen, für die Quantencomputer das ideale Werkzeug sind. Für die Anwender könnte Quantencomputing beispielsweise als Cloud-Service zur Verfügung stehen und wäre damit Teil ihres Werkzeugkastens. Für E-Mail und andere Aufgaben verwenden die Kunden klassische Computer. Für bestimmte andere Aufgaben den Quantenrechner.

Google bietet also einfach eine Schnittstelle für solche Zwecke an?

Wir machen das heute schon mit dem D-Wave-Chip. Zwanzig Prozent der Rechenzeit auf diesem Chip stellen wir Forschern weltweit zur Verfügung. Wenn jemand an einer Universität daran interessiert ist, sein Programm auf diesem Chip laufen zu lassen, ermöglichen wir ihm das. So etwas wollen wir in naher Zukunft auch mit unserem eigenen Quantencomputer ermöglichen – ebenfalls für die Forschung und wohl nicht für kommerzielle Zwecke. Wir erhoffen uns davon zunächst bessere Quantenalgorithmen. Wir sind bei Google vielleicht 30 Wissenschaftler, die an ihnen arbeiten. Weltweit aber gibt es Tausende Forscher mit dem gleichen Ziel. Rein statistisch gesehen ist die Chance recht groß, dass sie bessere Ideen haben als wir.

(wst)