Nie wieder warten

Schneller, schöner, besser: Der Mobilfunk der Zukunft verspricht viele neue Dienste, aber auch neue Kämpfe um Netzneutralität und Monopolisierung.

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Von
  • Christian Buck

Die A9 zwischen Pfaffenhofen und Raststätte Hallertau war so sicher wie nie. Jedenfalls für die beiden Testwagen, die im vergangenen November auf der viel befahrenen bayerischen Strecke unterwegs waren. Innerhalb von 20 Millisekunden konnten sie sich vor Gefahren warnen, vor Bremsmanövern oder überraschenden Spurwechseln. Über das normale Mobilfunknetz wäre das Signal mindestens 100 Millisekunden unterwegs. Das mag sich nach einem minimalen Unterschied anhören. Aber er kann darüber entscheiden, ob es zu einem Unfall kommt oder nicht. In 100 Millisekunden legt ein Auto bei 130 Stundenkilometern immerhin fast eine Fahrzeuglänge zurück.

Beim Versuch auf der A9 haben sogenannte Cloudlets den Datentransfer beschleunigt. Diese unscheinbaren silbernen Kästen befinden sich an den Mobilfunk-Basisstationen längs der Versuchsstrecke und bilden gewissermaßen lokale Mini-Clouds, daher ihr Name. Sie verarbeiten die Daten direkt vor Ort und schicken sie an die Autos zurück. V2I ("Vehicle to Infrastructure") heißt das entsprechende Kürzel. Natürlich könnten die Wagen unter gewissen Umständen auch direkt über WLAN miteinander sprechen. Das aber reicht nicht, wenn aktuelle Verkehrsinfos oder aufwendige Berechnungen hinzukommen sollen, etwa um ganze Lkw-Flotten zu dirigieren.

Mit dem Versuch geben Continental, Deutsche Telekom, Nokia Networks sowie das Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik nicht nur einen Vorgeschmack auf das vernetzte Fahren, sondern auch auf den nächsten Entwicklungsschritt des Mobilfunks. Bei der fünften Generation (5G) geht es mehr denn je um Daten – und zwar vor allem um jene Daten, die Maschinen untereinander und mit ihrer Umgebung austauschen, um Prozesse im Verkehr, in der Industrie oder im Stromnetz zu regeln. Dazu soll die Latenzzeit künftig gar unter eine Millisekunde sinken.

"5G ist nicht so sehr für Menschen gemacht, sondern für das Internet der Dinge", sagt Ulf Ewaldsson, Technik-Vorstand des Netzwerkausrüsters Ericsson. Bis 2020 rechnet das Unternehmen mit 9,2 Milliarden Mobilfunkverträgen, aber zugleich mit 26 Milliarden vernetzten Geräten – Tendenz weiter stark steigend. "Wir wollen alle Geräte der Welt mit allen Clouds der Welt verbinden", so Ewaldsson.

Auch das "Platooning" von Lkws soll davon profitieren. Wenn sich Lastwagen durch eine Art digitaler Deichsel miteinander verbinden, können sie viel enger aufeinander auffahren. Das spart Sprit und erhöht die Kapazität der Autobahn. Ferngesteuerte Operationsroboter, industrielle Steuerungen oder virtuelle Kraftwerke sind ebenfalls auf das "taktile Internet" angewiesen – auf ein Netz also, das in etwa so schnell wie menschliche Nervenbahnen auf Reize reagiert.

Wie genau das künftige Netz technisch realisiert wird, steht allerdings noch nicht fest. Neue Frequenzen sind ebenso wenig verteilt, wie es eine Entscheidung über Modulationsverfahren oder sonstige Standards gibt. Auch die Kosten sind noch offen. Ziemlich sicher ist hingegen die zentrale Rolle der dezentralen Datenverarbeitung ("Mobile Edge Computing").

Bewegen sich Nutzer, wandern ihre Daten und Programme einfach mit. "Denkbar ist beispielsweise, dass die Sicherheitsfunktionen für Bahnübergänge einen ICE begleiten und von Basisstation zu Basisstation längs der Strecke hüpfen", erklärt Hans Dieter Schotten, der sich am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit den künftigen 5G-Netzen beschäftigt. Der nächste Server darf höchstens 100 bis 150 Kilometer entfernt sein – sonst wird die Latenzzeit zu groß für eine Echtzeitsteuerung von Maschinen.

Profitieren können aber auch die Privatkunden. Für sie ist die geringe Latenz zwar nicht entscheidend, weil es keinen spürbaren Unterschied macht, ob sich eine Homepage in 10 oder in 100 Millisekunden aufbaut. Relevanter ist allerdings die Datenrate. Sie soll mit 5G massiv steigen, so jedenfalls die Ankündigung der Mobilfunkkonzerne. Eine zehn- bis hundertmal so schnelle Datenübertragung würde hochauflösende Videos aufs Smartphone bringen oder eine virtuelle Zusammenarbeit in Cyber-Büros vereinfachen.

"Das 5G-Mobilfunknetz könnte zum Rückgrat Deutschlands werden", sagt Frank Fitzek von der TU Dresden, in dessen "5G Lab" 22 Professoren und 600 Forscher gemeinsam mit Unternehmen an neuen Funkverfahren, Chips, Netzwerken und Applikationen arbeiten. Er hält die neue Technologie für so wesentlich, "dass die Bundesregierung entscheiden muss, wer die Kontrolle darüber haben soll".

Die deutschen IT-Unternehmen jedenfalls hoffen auf einen kräftigen Bedeutungszuwachs. Mit 5G wollen sie endlich gegen die Dominanz US-amerikanischer Digitalunternehmen antreten. Tatsächlich dürfte 5G die Kräfteverhältnisse zwischen Netzbetreibern und IT-Giganten wie Google oder Facebook zumindest teilweise auf den Kopf stellen. Denn all die zeitkritischen Anwendungen können nicht irgendwo in den USA laufen. In diesem Spiel gewinnt, wer nah bei den Servern Zugang zum Mobilfunknetz hat – und das sind eben die Telecomfirmen, die sich von mäßig bezahlten Datentransporteuren zu hoch profitablen Serviceanbietern mausern könnten.

Natürlich ist es auch denkbar, dass Google oder Facebook eine eigene Infrastruktur aufbauen, um geografisch näher an ihre Kunden zu rücken. Ob die Konzerne ihre Macht jedoch wirklich im Sinne des Kunden ausüben? "Hier stellen sich viele Fragen", sagt Schotten. "Lässt zum Beispiel die Telekom Apps von Drittanbietern auf ihren Edge-Servern laufen? Was sagt die Regulierung dazu? Wie hält man es in Zukunft mit der Netzneutralität?"

Einen Vorgeschmack auf die Verteilungskämpfe gibt die Idee des sogenannten "License-Assisted Access" (LAA). Dabei wollen die Netzbetreiber eine höhere Datenrate erreichen, indem sie mehrere Frequenzen kombinieren – zum Beispiel das klassische Mobilfunkspektrum mit dem lizenzfreien Fünf-Gigahertz-Band, in dem unter anderem WLANs funken. Dabei könnte beispielsweise der Datentransport vom Kunden zum Provider (Uplink) wie gehabt ablaufen. Der datenintensivere Downlink aber ließe sich auf verschiedene Kanäle verteilen – neben LTE auf herkömmlichen, lizenzierten Frequenzen etwa auf LTE im Fünf-Gigahertz-Bereich oder auf klassisches WLAN.

Die Hersteller von WLAN-Routern verfolgen das mit Sorge. Um sie zu entkräften, hat die Deutsche Telekom die Methode im November 2015 gemeinsam mit Qualcomm auf Basis der bestehenden LTE-Technologie getestet. Sie will keine Beeinträchtigung von WLAN-Netzen festgestellt haben. "Die spätere gemeinsame Nutzung ist möglich, etwa indem die Mobilfunker vor dem Senden feststellen, ob die Frequenzen gerade benutzt werden – was ohnehin vorgeschrieben ist", so Experte Schotten. "Aber natürlich steigt dadurch die Konkurrenz um die Bandbreite weiter, weshalb LAA ein heikles Thema ist."

Zudem existieren Alternativen. Der Deutschen Telekom ist es gemeinsam mit Huawei Anfang des Jahres gelungen, im 73-Gigahertz-Band bis zu 70 Gigabit pro Sekunde zu übertragen. Dazu trugen auch spezielle Antennen-Arrays bei, mit denen sich sehr präzise Richtstrahlen zwischen der Basisstation und den mobilen Endgeräten erzeugen lassen. Dadurch konnten mehrere Nutzer gleichzeitig mit jeweils 20 Gigabit pro Sekunde versorgt werden – etwa 60-mal schneller als mit heutigen mobilen Breitbandverbindungen. Allerdings ist die Reichweite solch hoher Frequenzen generell begrenzt. Sie werden darum wohl meist an besonders stark genutzten Hotspots zum Einsatz kommen.

Die ersten öffentlich zugänglichen 5G-Netze können voraussichtlich die Besucher der Winterolympiade 2018 in Südkorea nutzen. Das Land will sich, ebenso wie Japan aus Anlass der Sommerspiele 2020, als Vorreiter der neuen Technologie präsentieren. Mit der weltweit flächendeckenden Einführung von 5G rechnen Experten ab 2020. Wer das nicht braucht, kann ganz beruhigt sein: LTE-Smartphones funktionieren auch in der 5G-Ära. (bsc)