Die unerträgliche Beichtigkeit des Seins

Mehr als eine Milliarde Menschen hat er schon. Aber Mark Zuckerberg will auch die restlichen 6,4 Milliarden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Etwas weniger als zwei Milliarden Menschen weltweit sind Christen, etwas mehr als eine Milliarde sind auf Facebook. Jesus hat 2000 Jahre für diese Reichweite gebraucht, Mark Zuckerberg 12 Jahre. Neulich war der Facebook-Gründer bei Papst Franziskus zu einer Privataudienz geladen. Als Gastgeschenk hatte er ein Modell einer Drohne namens "Aquila" (italienisch für "Adler") dabei. Der solarbetriebene Flugkörper soll auch in abgelegenen Gegenden Internet-Zugang ermöglichen, eine moderne Missionarsmaschine also. Zuckerberg will auch die restlichen 6,4 Milliarden Menschen in sein taubenblaues Imperium holen (Das Blau ist Facebook-Firmenfarbe, weil Zuckerberg rot-grün-blind ist).

Als Mittel der Welterklärung hat sich die Computer- und Kommunikationstechnik zur Religion entwickelt, so wie jede Ideologie, die universale Bedeutungen vermittelt und absolute Anpassung verlangt. Ein Hollywood-Drehbuchautor sagte einmal: "Was wir den Leuten geben, ist die christliche Botschaft – dass wir alle ehrlich sein, uns lieben und für die Schwachen kämpfen sollen." Die Produktion solcher machtvoller Mythen hat sich aus dem ursprünglichen religiösen in den wirtschaftlichen – und im Islam in den politischen -Bereich verlagert.

Die christlichen Großkirchen sehen heute viele als dekadent an. Der gesellschaftliche Wandel hat eine tiefgreifende Änderung der Werte verursacht. Mit der Virtualisierung ist eine neue spirituelle Komponente hinzugekommen. Wie ein Hausaltar steht der Computer nun auf den Schreibtischen der Welt. Im Januar 2011 erklärte der damalige Papst Benedikt XVI. soziale Netze zu Orten, die Christen "großartige Möglichkeiten des Verbindens" geben.

Mark Zuckerberg hat eine klare Vision, wohin es mit seiner weltweiten Kontaktkirche gehen soll. Er war Anfang 20, als er ein Übernahmeangebot von Yahoo über eine Milliarde Dollar ablehnte – gegen den Widerstand seiner Investoren. Was vor etwas über einem Jahrzehnt als studentisches Hobby begonnen hat, ist nun etwas geworden, das die Realität von Menschen und die Art, wie sie ihre Beziehungen organisieren, auf der ganzen Welt verändert. Wir leben unser Leben zunehmend durch ein privatwirtschaftlich betriebenes Netzwerk, das seinen Besitzer zum Künder gemacht hat.

Facebook macht das verlockende Angebot, eine stets präsente Riesen-WG in der Jackentasche mit sich führen zu können. Im Dezember 2010 kürte das Magazin TIME Zuckerberg zum "Mann des Jahres". In dem Leitartikel beschrieb ein Reporter einen der Konferenzräume im damaligen Facebook-Hauptquartier im kalifornischen Palo Alto – mitten in einem Großraumbüro und auf drei Seiten durch gläserne Wände einsehbar. Radikale Offenheit, wie es sie zuvor schon in den Beichtstühlen des Katholizismus gab. Als Zuckerberg im Januar 2010 das Ende der Privatsphäre verkündete, befand er, das sei Schnee von gestern. Ein Wert, der keinen mehr interessiere. In der neuen Facebook-Zentrale ist dieses Beichtstuhl-Design bereits Teil der Architektur. Es gibt keine "Cubicles" mehr, wie man in Amerika die halbhohen Verschläge in Großraumbüros nennt. Auch fast keine Wände und keine Büros mehr, nur eine offene Prärie aus Büromöbeln. Auch Zuckerberg selbst hat kein eigenes Büro.

Interessanterweise sind es vor allem Kleriker, für die Facebook das modernisierte Modell einer Kirche darzustellen scheint. "Wenn Mark Zuckerberg Facebook zu seinem eigenen Ruhm erschaffen kann, was können wir als Kirche erschaffen zur höheren Ehre Gottes?", fragt Steven Furtick, Hauptpastor der Elevation Church in New Jersey, angesichts des furiosen Aufstiegs von Facebook. Und neidisch: "Den Turmbau zu Babel haben die Menschen zu ihrem eigenen Ruhm begonnen. Auch Zuckerberg macht sich einen Namen. Aber der Turmbau wurde nicht vollendet. Und die Namen derer, die ihn gebaut haben, sind vergessen." (bsc)