Handschuh lässt virtuelle Objekte real wirken

Optisch werden virtuelle Welten immer perfekter, doch der Tastsinn wird auch mit den bislang erhältlichen Zusatzgeräten nur ansatzweise stimuliert. Ein schicker neuer Handschuh soll nun auch überzeugende haptische Rückmeldungen liefern.

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Von
  • Simon Parkin
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Mit seiner strahlend weißen Hülle und den mattschwarzen Gelenken sieht der Dexmo-Handschuh aus wie eine Requisite aus einem Film von Stanley Kubrick. Wer ihn trägt, wirkt ein wenig wie eine Comic-Figur – so als hätte irgendjemand die Realität verzerrt und Menschen übergroße Klauen gegeben.

Tatsächlich aber verändert der Dexmo die Welt eher virtuell. Im Zusammenspiel mit passender Software kann der Träger dieses Exoskeletts virtuelle Objekte so anfassen, ergreifen und spüren, als wären sie real. Ein virtueller Ball fühlt sich in der Hand fest an, ein Ei zerbrechlich. Wenn man mit dem Dexmo eine digitale Gummiente anfasst, kann sie täuschend echt ein wenig gedrückt werden.

Das von einem Team aus sieben jungen Roboterexperten und Ingenieuren entwickelte Exoskelett arbeitet mit fünf selbstgebauten Einheiten zur Kraftrückkoppelung, die auf die Finger des Trägers wirken. Richtung und Stärke dieser Kraft wird dynamisch angepasst, um die Steifheit unterschiedlicher virtueller Objekte zu simulieren. Beim Anfassen eines weichen Objekts wie einem Schwamm oder einem Stück Kuchen üben die Motoren nur wenig Druck aus, bei dichteren Objekten wie Rohren oder Steinen mehr. Weitere winzige Motoren senden zudem Vibrationen an die Fingerspitzen, um das Gefühl beim Tippen auf einer Tastatur oder beim Entlangfahren mit dem Finger über eine raue Oberfläche zu simulieren. Der Handschuh kann so kräftig dagegenhalten, dass es nicht möglich ist, durch virtuelle Objekte hindurchzugreifen.

Für Aler Gu, einer der Erfinder und Gründer des Unternehmens dahinter, hat die Erweiterung von VR um den Tastsinn das Potenzial, das neue Medium zu revolutionieren. "Das Maximum an Feedback, das man von bisherigen VR-Controllern bekommen kann, ist ein leichtes Rumpeln durch Vibrationsmotoren", erklärt er. "Aber Vibration allein reicht nicht aus, um das Gehirn auszutricksen. Sobald man Anomalien dabei entdeckt, wie sich ein Objekt anfühlt, geht das Gefühl der Immersion verloren".

Laut Gu gehen die Anwendungsmöglichkeiten für Dexmo weit über Videospiele hinaus. Der Handschuh funktioniere in jeder simulierten 3D-Umgebung und sei kompatibel mit allen derzeit erhältlichen VR-Headsets. Potenzial sieht Gu unter anderem bei CAD-Design – Ingenieure könnten damit Raketen virtuell zerlegen und die Größe jedes Bauteils erfühlen. Im medizinischen Bereich könnten junge Ärzte realistische virtuelle Operationen vornehmen. Ebenso könne der Handschuh eine wertvolle Hilfe bei der Ausbildung von Bombenentschärfern sein und die Kosten für Schulungen zur Wartung von Maschinen drastisch verringern, weil Schüler damit Teile in die Hand bekommen könnten, die sonst viel zu teuer zum Üben sind.

Sam Watts, Head of Operations bei dem Softwareanbieter Make Real, der mit Kunden aus dem militärischen Bereich und Spieleentwicklern an unterschiedlichen VR-Anwendungen gearbeitet hat, sieht ebenfalls Schwächen bei den aktuellen Zusatzgeräten für VR-Headsets: Sie böten nur "die erste Stufe der Empfindungen beim Arbeiten und Interagieren mit virtuellen Objekten".

Vive Wands von HTC zum Beispiel wird komfortabel in der Hand gehalten. Eine digitale Abbildung des Controllers ist in der virtuellen Welt stets zu sehen und dreht und bewegt sich perfekt synchronisiert zu den Handbewegungen des Nutzers. "Das ist genug für Spiele und viele Schulungssimulationen, aber für ernsthafte VR-Anwendungen in der Industrie und im Ingenieurswesen braucht man viel realistischeres und genaueres Feedback, um das Gefühl beim Berühren, Benutzen und Bearbeiten von Objekten gleichzeitig zu vermitteln", so Watts.

Bevor er Dexmo in die Produkte von Make Real integrieren wird, wolle er aber mehr Tests und Belege dafür sehen, dass das Gerät bei Verbrauchern ankommt.

Der Preis für die Consumer-Version von Dexmo steht laut Gu noch nicht fest. Allerdings zeigt er sich optimistisch, dass der Handschuh "irgendwann für jeden bezahlbar wird". Einstweilen aber können nur einige wenige Software-Entwickler wie Watts ihn nutzen – und die entscheiden letztlich darüber, welche Auswirkungen er auf die reale wie die virtuelle Welt haben wird.

(sma)