Die Diplomatin der Medizin

Die Wissenschaftsjournalistin Jo Marchant zeigt in ihrem neuen Buch das Potenzial von Selbstheilungskräften. Dabei tritt sie als Vermittlerin zwischen Alternativmedizin und evidenzbasierter Medizin auf.

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Die golden schimmernde Silhouette eines Menschen, dazu eine zart-rosa Blüte und der Titel "Heilung von innen" – zugegeben, in dieser Aufmachung könnte man das neue Buch von Jo Marchant nur allzu leicht in die Esoterik-Ecke stecken. Doch ließe man sich von der Optik täuschen, man würde ein fundiertes Sachbuch über die "neue Medizin der Selbstheilungskräfte", wie das Werk im Untertitel heißt, verpassen.

Die britische Autorin ist nämlich alles andere als eine Frau, die nicht-greifbare Energiefelder verteidigt. Sie hat Medizin studiert und arbeitete als Redakteurin bei Nature. Mittlerweile schreibt sie als freie Journalistin für verschiedene Medien und ist Fachberaterin beim New Scientist. Gerade durch ihren wissenschaftlich geprägten Hintergrund erkennt sie – anders als viele Kritiker alternativer Heilmethoden – die Chancen, die in den Selbstheilungskräften des menschlichen Körpers liegen. Sie will vermitteln zwischen der evidenzbasierten Medizin und den Verfahren der Alternativmedizin. Ihre zentrale Frage: Kann der Geist den Körper heilen?

Zweifelsohne, der menschliche Körper hat Selbstheilungskräfte. Das lässt sich schon an der Schorfbildung an jedem Hautkratzer erkennen. Marchant aber dringt tiefer in die Fähigkeiten des Körpers ein. Sie beleuchtet im Reportagestil Krankheitsgeschichten, von der Wirbelsäule über Parkinson bis zu Verbrennungen, und beschreibt, wie ihnen etwa chirurgische Placebo-Eingriffe oder virtuelle Umgebungen geholfen haben.

Am Beispiel der Hypnosetherapie zeigt Marchant, wieso konventionelle und Alternativmedizin so schwer zueinanderfinden. Sie besucht dafür den Facharzt Peter Whorwell im britischen Manchester, Spezialist für das Reizdarmsyndrom. Er setzt nicht auf Medikamente oder die Entfernung von Teilen des Darms, sondern auf Hypnose, um die Darmmuskulatur zu entspannen – und erzielt damit seit Jahren erstaunliche Ergebnisse. Die so Behandelten verspüren weniger Symptome, nehmen weniger bis gar keine Medikamente und sind auch lange Zeit nach der Hypnosetherapie gesund. Doch die Behandlung passt nicht in das Raster der Verwaltungsbehörden, die für die Finanzierung zuständig sind. Sie lässt sich beispielsweise nicht mit Tests für Medikamente vergleichen. Folglich erreicht diese aussichtsreiche Therapie weder Betroffene noch Mediziner.

Marchants Plädoyer ist eindeutig: Der Weg zum Wohl des Patienten führt nicht über eine strikt auf die Physis fokussierte Behandlung. Sie könnte vielmehr Hand in Hand gehen mit Therapien wie Hypnose, Placebo-Einnahme und einer intensiveren Kommunikation zwischen Arzt und Patienten.

Jo Marchant: Heilung von Innen – Die neue Medizin der Selbstheilungskräfte, Rowohlt Polaris, 416 Seiten, 16,99 Euro (E-Book 14,99 Euro) (jle)