Medikamente ohne Tierversuche?

Die Debatte über Tierversuche ist alt. Jetzt gehen die Wissenschaftler allerdings in die Offensive und werben für ihre Forschung. Unter ihnen der Neurowissenschaftler Stefan Treue und der Herzchirurg Axel Haverich.

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Von
  • Inge Wünnenberg
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Transparenz haben sich deutsche Wissenschaftsorganisationen in diesem Herbst auf die Fahnen geschrieben. "Tierversuche verstehen" heißt die Webseite, die ganz klar Position bezieht und um Verständnis für die eigenen Argumente wirbt. In einem Unterpunkt des Menüs werden zwar auch – vielleicht ein wenig versteckt – unter dem Schlagwort "Hintergrund" unter anderem die alternativen Methoden und Möglichkeiten angesprochen. Aber im Falle der Ersatzverfahren werden im Gegensatz zu jenen Wissenschaftlern, die für Tierversuche eintreten, die jeweiligen Forscher, Forschungsteams und ihre Projekte mehr im Newsteil abgehandelt.

So erhielten Ende September Forscherinnen des Paul-Ehrlich-Instituts um Beate Krämer und Birgit Kegel den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis. Ausgezeichnet wurde ein neues Verfahren zur Testung von Botulinum-Neurotoxinen. Das von Bakterien produzierte Nervengift ruft bei Mensch und Tier Muskellähmungen hervor. Das macht es attraktiv für die Anwendung in der Kosmetik und zur Behandlung von neurologischen Erkrankungen. Aufgrund der starken toxischen Wirkung muss jedoch jede einzelne Charge getestet werden – bisher anhand von Tierversuchen mit Mäusen. Das neue Verfahren der Forscherinnen vom Paul-Ehrlich-Institut ermöglicht nun eine In-Vitro-Testung ohne Tierversuch. Davon könnten künftig rund 600.000 Tiere profitieren.

Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen und Sprecher der Initiative "Tierversuche verstehen", betonte in seiner Festrede zur Verleihung des Ursula M. Händel-Preises: "Verantwortungsbewusst zu handeln heißt, Tierversuche möglichst zu reduzieren, zu verbessern oder gar zu ersetzen – dazu gehört aber auch, für Transparenz und Kommunikation zu sorgen." Und das geht für den Professor für Kognitive Neurowissenschaften und Biopsychologie weit über den neuen Internetauftritt hinaus, wie er jüngst während einer Diskussion in der Reihe "Leibniz debattiert" feststellte.

Während des Streitgesprächs mit der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) über die Frage "Braucht Forschung Tierversuche?" attestierte Treue seinen Kollegen "mittelschwere bis schwere Fehler in Bezug auf die Kommunikation zu dem Thema". Denn ohne Informationen könne man keine sachgerechte Debatte über Tierversuche führen: "Ich nehme mich da als Wissenschaftler mit in die Schuld, dass wir den leichten Weg gegangen sind", sagt der Forscher. Quasi nach dem Motto, wie Treue zuspitzte, "alle wollen Medikamente – da reden wir nicht über Tierversuche".

Die gängige Praxis in der Vergangenheit habe somit zu einer völlig verzerrten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geführt, erläuterte der Sprecher von "Tierversuche verstehen". Es werde zu 90 Prozent verschleiert, dass Ergebnisse der biomedizinischen Forschung in der Regel auf der Basis von Tierversuchen zustande gekommen seien. Denn "Tierversuche sind eine Kernmethode im biomedizinischen Forschungsbereich", so Treue. Deshalb warb er nachdrücklich für die neue Offensive seiner Zunft: "Wir wollen dahin kommen, dass jeder auf seiner Ebene offen darüber spricht, was er macht."

Eine Forderung, mit der er bei manch einem Kollegen offene Türen einrennt. Zum Beispiel bei dem Herzchirurgen Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der Mediziner transplantiert Herzklappen und hat seine Methode an Versuchen mit Schafen entwickelt. Heutzutage nutzt er ein Gerüst aus Bindegewebe, von dem alle Zellen entfernt wurden und das stattdessen mit Zellen des Empfängers besiedelt wird. Mittlerweile wurden rund 300 Klappen hergestellt und implantiert. Und Haverichs Standpunkt ist klar: "Wir müssen neue Dinge prüfen", sagte der Chirurg bei der diesjährigen Ringvorlesung der Leibniz Universitätsgesellschaft über "Biomedizintechnik in Hannover" und mahnte: "Wir können nicht ohne Tierversuche in die klinische Praxis gehen." (inwu)