Verzweifelungstat

Stuttgart stehen die Luftschadstoffe bis zum Hals. Der Bund könnte helfen, nörgelt aber lieber herum.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 3 Min.

Nun ist es also soweit – in Stuttgart droht den ersten Dieselfahrzeugen unterhalb der Euro-6-Norm ein Fahrverbot. Ausgerufen werden soll es ab 2018 bei "Feinstaubalarm". Die Maßnahme ist allerdings nicht speziell auf Feinstaub gemünzt (der durch weit mehr Faktoren als durch dreckige Diesel verursacht wird). Denn wenn in Stuttgart wegen einer Inversionswetterlage die Feinstaubbelastung ansteigt, schnellen parallel dazu auch die Stickoxidwerte in die Höhe. Und hier gehören ältere Diesel klar zu den wichtigsten Verursachern.

Mehr Infos

Ob Feinstaub oder Stickoxide: Stuttgart stehen die Schadstoffe bis zum Hals. 2016 wurden die EU-Grenzwerte an 63 Tagen überschritten, allein in diesem Jahr waren es schon 30 Tage. Ab 35 Tagen im Jahr drohen einer Stadt Strafzahlungen.

So wird verständlich, dass der Stuttgarter Beschluss deutliche Züge einer Verzweiflungstat trägt. Rechtlich stehen noch viele Fragen offen: Solange es keine blaue Plakette für Euro-6-Diesel gibt, ist es von außen beispielsweise nicht zu erkennen, welche Wagen fahren dürfen und welche nicht. Zur Kontrolle müsste die Polizei jedes einzelne Auto anhalten und in die Papiere schauen. "Das ist eine enorme organisatorische Herausforderung", sagt Julia Pieper, Pressesprecherin des baden-württembergischen Verkehrsministeriums. Ein weiteres Problem ist die Beschilderung des Fahrverbots. "Die Schilder dazu müssen neu erfunden werden", sagt Pieper. Ob dafür nun der Bund oder das Land zuständig ist, sei rechtlich noch "nicht final geklärt".

Wegen solcher Unsicherheiten sei das tageweise Fahrverbot "absolut nicht unser Favorit", so Pieper. "Das ist genau der Grund, warum wir uns beim Bund weiter für eine blaue Plakette einsetzen werden" – denn die würde Rechtssicherheit bringen. Beim Bundesumweltministerium habe es dafür durchaus Unterstützung gegeben. "Das hat aber nicht gereicht", sagt Pieper.

Dies ist eine sehr diplomatische Umschreibung dafür, dass sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hartnäckig weigert, seinen Job zu machen. Er ließ zu den Stuttgarter Plänen lediglich verlauten: Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität sollten "nicht die Mobilität einschränken oder die Bürger und die innerstädtische Wirtschaft belasten".

Na toll. Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität sollten doch wohl in erster Linie die Luftqualität verbessern. Wie das möglichst schmerzlos zu bewerkstelligen ist, ob mit blauer Plakette oder ohne, das herauszufinden wäre die Aufgabe von Dobrindt gewesen. Doch der war wohl zu sehr mit seiner verkehrs- und umweltpolitisch total sinnlosen Pkw-Maut beschäftigt. Jedenfalls kam aus Berlin nichts, aber auch gar nichts, um den Kommunen aus ihrer Bredouille zu helfen. (grh)