Moderne Nachbarschaft

Warum die digitale Kommunikation im sozialen Nahbereich manchmal versagt.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Lärm rangiert im Ranking der häufigsten Auslöser für Nachbarschaftsstreits an erster Stelle. Der technische Fortschritt, der Aneinanderwohnende mit segensreichen Dingen wie Kopfhörer ausstattete, zeigt auch immer eine brachiale Seite. So konstruierte ein notorischer Nachbar in der Nordheide eine "Lärm-Rückwurf-Anlage" – übersteigen die Geräusche eine bestimmte Phonschwelle, nimmt das Gerät sie auf und schickt sie über Lautsprecher zum Verursacher zurück.

Es gibt eine Geschichte, in der Donald Duck in die ruhigste Gegend von Entenhausen zieht, über ihm ein pensionierter Schweizer Käsekoster, neben ihm ein Schriftsteller, der zum Schreiben noch Gänsefedern benutzt. Als die Schuhsohlen des Dichters knarren, eskaliert eine Lärm- und Gegenlärmspirale bis hin zu "Basso Bompopoff von Krachmaninoff, auch nicht grad ein Schlummerliedchen!", sowie Schneeketten, die donnernd durch einen Lüftungsschacht gezogen werden. Schließlich greift der Käsekoster zum Alphorn...

Das Ruhebedürfnis fußt auf uraltem Revierverhalten, das den Menschen zum merkwürdigen Nachbarn und, nicht zu vergessen, zum PKW-Besitzer und Parkplatzjäger machen kann. Biologen haben ein Experiment mit Fischen durchgeführt, bei dem die Temperatur in einem Aquarium schrittweise reduziert wurde. Bemerkenswert war, dass, sogar nachdem der Sexualtrieb erkaltet war, das Revierverhalten immer noch funktionierte.

Warum gibt es heute, mitten im Internet-Zeitalter, keine prosperierenden Online-Nachbarschaftsforen, obwohl sich sowas ganz einfach einrichten ließe? Weil man sich damit zu schnell zu nahe käme. Liebe ist eine Kunst der Nähe, so wie Freundschaft eine Kunst der Entfernung ist, und irgendwo dazwischen oszilliert, wie rätselhafte Quantenbewegungen, die Nachbarschaftlichkeit. Stattdessen gibt es Zettel, die in Hausfluren und sonstwo kleben: "Liebe Einbrecher, hier nix holen, wir auch arm. Besser Grunewald." In dem wundervollen Blog Notes of Berlin zeigt der Ex-Münchner Joab Nist, dass diese analogen Zettel gegenüber dem blanken Internet Vorteile haben, die sie unverzichtbar machen. Sie sind ein Kiez-Kommunikationsmittel. Man erreicht zwar vielleicht weniger Leute, aber die richtigen. "Wenn Sie Streit mit dem Nachbarn haben, posten Sie das nicht auf Facebook", so Nist, "sondern schreiben halt einen Zettel".

In dieser Größen- besser: Kleinstordnung versagt die digitale Kommunikation. Und das ist auch gut so, wie ein tröstliches Beispiel deeskalierender Nahkommunikation aus England zeigt. "Maulwurfmann" nannten seine Nachbarn den 2010 verstorbenen William Lyttle. Von seinem Haus im Londoner Stadtteil Hackney aus grub er seit den späten Sechzigerjahren Tunnel. Er behauptete, er habe sich ursprünglich einen Weinkeller ausheben wollen, der im Lauf der Zeit nur etwas größer geworden sei. Gelegentlich brach der Gehsteig vor dem Haus ein, und man konnte in die hohle Unterwelt blicken. Und wie reagierte die Umgebung? Britisch, nämlich mit Verständnis für exzentrische Mitmenschen: "Wir möchten nicht", sagte ein Nachbar, "dass diesem Mann etwas Böses geschieht. Er arbeitet hart".

Bedauerlicherweise setzt er seine Energien nicht in die richtige Richtung ein." In dem neuen Firmensitz von Facebook in Menlo Park ist radikale Nachbarschaftlichkeit bereits Teil der Architektur. In dem mit 40.000 Quadratmetern größten offenen Büroraum der Welt arbeiten fast 3000 Menschen nebeneinander. Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat eine wandlose Bürofläche. Privat setzt Zuckerberg seine Auffassung von Nachbarschaft allerdings anders um. Er besitzt ein Haus in Palo Alto, das sieben Millionen Dollar gekostet hat. Für 30 Millionen Dollar kaufte er noch vier der umliegenden Häuser – um kontrollieren zu können, wer sich dort niederlässt. (bsc)