Baukasten für Intelligenz

Maschinenlernen gilt als Hochtechnologie schlechthin. Wer sie einsetzt, den umweht ein Hauch Genialität. Dabei ist es gar nicht so schwierig.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Katja Scherer

Wer als Unternehmer von der Konkurrenz bewundernde Blicke bekommen will, sollte sich schnellstens ein Geschäftsmodell ausdenken, das auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Denn Firmen, die selbstlernende Algorithmen nutzen, umweht oft ein Hauch von Genialität, weil die Technologie als ebenso komplex wie visionär gilt. Die Realität aber ist deutlich weniger kompliziert.

Die Anwendung maschinellen Lernens hat sich in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt demokratisiert. Mittlerweile gibt es zahlreiche KI-Anwendungen, die jeder nutzen kann. Zum einen wird die nötige Hardware wie KI-spezialisierte Rechenkarten immer besser und billiger. Zum anderen ist die Software deutlich leichter zugänglich als früher. Unternehmen wie Google oder Amazon bieten im Internet mittlerweile KI-Baukästen an, teils sogar als Open-Source-Lösung. "Plötzlich haben deutlich mehr Menschen Zugang zu dieser Technologie", sagt Stefan Rüping, Big-Data-Experte beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. "Das hat eine richtige Gründungswelle in diesem Bereich ausgelöst."

TR 1/2017

(Bild: 

Technology Review 1/17

)

Dieser Artikel stammt aus dem Januar-Heft von Technology Review. Weitere Themen der Ausgabe:

Um aus den Open-Source-Angeboten wie Torch, TensorFlow oder Caffe (siehe Kasten) eine funktionierende Softwarelösung zu entwickeln, braucht man zwar deutlich mehr als nur Grundkenntnisse im Programmieren. Dennoch können damit auch IT-Experten, die nicht schon jahrelang zum Thema forschen, in vernünftiger Zeit zum Ziel gelangen. Gerade für Start-ups, bei denen Geld und somit Zeit meist knapp sind, können die Angebote eine große Hilfe sein. "Für ein Start-up zählt vor allem eins: Schnelligkeit", sagt Robert Strey, Mitbegründer des Hannoveraner Start-ups Peat. "Wir können nicht monatelang darauf warten, bis der Computer endlich einen Datensatz durchgerechnet hat." Peat hat eine App entwickelt, die Pflanzenkrankheiten und Schädlinge analysiert. Dazu laden die Nutzer einfach ein Handyfoto in die App und zack, schon haben sie die Antwort – dank KI.

Mithilfe der Open-Source-Programmierumgebung Caffe hat das Start-up ein neuronales Netz mit einer riesigen Fotodatenbank kombiniert. Der Vorteil: Das Programmiergerüst bietet bereits eine fertige Bilderkennung, die dann für einen speziellen Datensatz angewendet und verbessert werden kann. Je mehr Bilder die Peat-Nutzer wie Pflanzenschutzbehörden oder Forschungsinstitute schicken, desto präziser gelingt die Analyse. Anstatt mühevoll die Grundlagen einer neuen Deep-Learning-Umgebung zu programmieren, konnte sich das Team von Anfang an direkt auf den Feinschliff der Software konzentrieren, etwa darauf, die richtigen Parameter für die Bilderkennung zu finden. Für Robert Strey eine Riesenhilfe: "Sonst wären wir wahrscheinlich erst in zwei Jahren da, wo wir heute stehen."

Der Entwicklungssprung, den Start-ups durch die Baukastenlösungen hinlegen können, hat allerdings seinen Preis: Abhängigkeit. Wer auf die externen Cloud-Lösungen vertraut, muss hoffen, dass der Open-Source-Algorithmus ständig aktualisiert und erweitert wird. Sonst wird auch die eigene Softwarelösung immer fehleranfälliger. Peat hat diese Erfahrung schon gemacht. Statt mit Caffe, das inzwischen zu selten gewartet wird, arbeitet das Team zunehmend mit Googles TensorFlow.

Erik Pfannmöller von Fredknows.it hat sich daher direkt fürs Selbermachen entschieden. Das Start-up entwickelt eine KI, die bei Problemen mit Dropbox, iCloud oder Google Drive helfen will. Die Kunden beschreiben mit wenigen Klicks an ihrem PC oder Smartphone das Problem – und die KI liefert die Lösung. "Mit dem Algorithmus als Kerngeschäft will ich mich nicht auf externe Lösungen verlassen", sagt Pfannmöller.

Das Start-up Hiariana hat einen Mittelweg gewählt. Sein Chatbot Ariana gibt Nutzern Tipps zu gesundem Verhalten. Er arbeitet zwar mit einer eigens geschaffenen Umgebung, integriert aber einzelne fremdentwickelte Elemente wie die Klassifizierungshilfe von wit.it, das zu Facebook gehört. Mithilfe der Anwendung erkennt Ariana etwa, dass Nutzerantworten wie "Ok" und "Alles klar" einfach "Ja" bedeuten. In einem sind sich jedoch alle Experten einig. KI-Lösungen werden in Zukunft noch deutlich einfacher zu bedienen sein. Dann reichen vielleicht schon wenige Klicks, um eine KI-Anwendung zu starten. (bsc)