Keine schöne neue Welt

Das Wissen über die Beschaffenheit der Gene erlaubt es künftig vielleicht einmal, Krankheiten zu besiegen. Vorerst aber sollte jeder Mensch Herr über seine eigenen Daten bleiben dürfen.

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Von
  • Inge Wünnenberg

In Sachen Gentechnik ist China heute längst das Land der Superlative. Zweimal wurde bereits von Gen-Editing an Embryonen berichtet –, auch wenn den Versuchen noch kein durchschlagender Erfolg beschieden war. Als sich Ende der Neunzigerjahre chinesische Wissenschaftler jedoch anschickten, beim weltweiten Humangenomprojekt mitzumachen, verweigerte die Regierung zunächst noch ihre Unterstützung, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Erst nachdem im Zuge der Entschlüsselung des Genoms auch der chinesische Beitrag gewürdigt worden war, erhielt das Gentechnikunternehmen BGI – damals noch das "Beijing Genomics Institute" – am Ende staatliche Unterstützung.

Inzwischen hat sich das Biotech-Start-up in Shenzhen – fern der Hauptstadt – niedergelassen und offensichtlich mit Unterstützung des Staates 2010 Dependancen in Cambridge (Massachusetts) und im dänischen Kopenhagen gegründet. Weitere Niederlassungen und Kooperationen folgten. Das zeigt, wie vernetzt die Welt der Genforschung heute ist.

Zum anderen aber mauserte sich BGI binnen kürzester Zeit zu einem Platzhirsch: Die Vorraussetzung schaffte es mit der Anschaffung von 128 der schnellsten Sequenziermaschinen von Illumina vor sieben Jahren. Inwzischen hat das chinesische Unternehmen einen Illumina-Konkurrenten aufgekauft und arbeitet nach einem ersten Flop angeblich nun an einer zweiten eigenen Sequenziermaschine, die künftig das gesamte menschliche Genom für 600 Dollar entschlüsseln kann. Damit unterbietet BGI zum Beispiel die amerikanische Konkurrenz von "Veritas Genetics", die im Vorjahr denselben Dienst für ebenfalls äußerst günstige 999 Dollar offerierte. Äußerst gut im Geschäft ist das chinesische Unternehmen zudem mit dem sogenannten Nifty-Test, einem nicht invasiven Pränataltest für das Down-Syndrom. Längst hat BGI mehr als eine Million der vorgeburtlichen Untersuchungen weltweit verkauft.

Doch nun offenbart sich allmählich die Kehrseite des chinesischen Erfolgsmodells. Im vorigen September berichteten internatonale Medien noch frohgemut über die Eröffnung der ersten nationalen chinesischen Genbank, der China National Genbank, in Shenzhen. Die auf fast 120.000 Quadratmetern residierende Sammlung soll mehr als 10 Millionen Proben enthalten – und hätte damit alle anderen Genbanken überrundet. Ihr Ziel seien vor allem medizinische Zwecke: Die "Speicherung, Ordnung und Nutzbarmachung der genetischen Ressourcen unseres Landes", heißt es. Irgendwann soll den Berichten zufolge die DNA sämtlicher 1,4 Milliarden Chinesen erfasst sein. Das könnte bei der Bekämpfung von Verbrechen hilfreich sein, wird anscheinend ohne Hintergedanken von den Journalisten vermeldet. Doch spätestens an diesem Punkt sollten die Alarmglocken schrillen: Man sollte hier immer vor Augen haben, dass das chinesische Regime keine Demokratie nach westlichem Maßstab ist!

Kein Wunder, dass inzwischen ganz andere Stimmen laut werden: Denn die chinesischen Polizeibehörden haben offensichtlich die Vorteile des genetischen Fingerabdrucks für ihre Arbeit entdeckt. Die New Yorker Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" zum Beispiel befürchtet, dass eine DNA-Sammlung ohne gesetzliche Grundlage und ohne Schutz der Privatsphäre entstehe. So hätten die Polizeibehörden in Chinas Nordwestprovinz Xinjiang begonnen, von Einwohnern DNA-Proben zu sammeln. Darunter seien auch Blutproben von den muslimischen Uiguren, der größten Volksgruppe der Provinz. Brisant ist das Vorgehen der Behörden vor allem, weil die chinesische Staatsführung gerade dort seit einigen Jahren massiv gegen Separatistenbewegungen vorgeht. So schnell kann also auch die schöne neue Welt der Gentechnik ihre Unschuld verlieren. (inwu)