Der Futurist: Abgestürzte Preise

Was wäre, wenn es Flugautos gäbe?

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Als die LM 4200 erschien, zuckten Fachleute zunächst nur mit den Schultern: Vier elektrische Rotoren, zwei Sitzplätze, 150 Kilometer pro Stunde, 100 Minuten Reichweite, automatische Steuerung, Carbonrumpf, straßentaugliches Fahrwerk, bei einem Preis von 8000 Bitcoins – nichts davon ging über das hinaus, was es schon seit Jahren im Bereich elektrischer Mini-Shuttles zu kaufen gab. Der Hersteller Local Motors habe lediglich vorhandene Komponenten in eine gefällige Hülle gesteckt, nörgelten die technischen Feinschmecker.

Damit hatten sie gleichzeitig recht und lagen weit daneben: Die Kombination von cooler Optik, einfacher Bedienung und liebevollen Details schlug ein wie das erste iPhone dreißig Jahre zuvor, denn die Regierung hatte kurz zuvor Zulassung und Betrieb autonomer Flieger deutlich vereinfacht. So war es nun erlaubt, auf Parkplätzen oder sonstigen geeigneten Flächen zu landen, solange der Verkehr nicht gestört wurde.

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

Die neuen Regeln waren der Erfolg einer Lobby, die sich offiziell für einen "demokratischen Himmel" stark machte, tatsächlich aber überwiegend aus Millionären bestand, die viel in Local Motors investiert hatten. Schnell entwickelte sich der Mini-Copter zum Lieblingsspielzeug der Reichen und Schönen. Gern ließen sie sich damit zu Benefizveranstaltungen einfliegen. Wer ein Penthouse hatte – und wer hatte das nicht? – brauchte tagelang keinen Fuß mehr auf die Straße zu setzen.

Dann kam das Nachfolgemodell, die LM 4400. Sie hatte eine etwas höhere Reichweite und vier Sitzplätze. Ein Antischall-Cockpit gab es nur noch gegen Aufpreis, und es war nicht mehr mit Alcantara ausgelegt, sondern mit pflegeleichtem Plastik. Dafür kostete die Maschine nur noch 3000 Bitcoins. Sie war genau das, worauf staugeplagte Pendler gewartet hatten. Bald sahen die Firmenparkplätze aus wie das Zwischendeck eines Flugzeugträgers. Findige Taxiunternehmen schafften ganze Flotten der Flugdrohnen an, die sich einfach und preiswert herbeizitieren ließen.

Es kam, wie es kommen musste: Da der Himmel zwar weit, aber nicht unendlich ist, kam es schnell zu Staus in den Einflugschneisen. Die Parkdecks der Malls waren ständig von einer schwirrenden Lufttaxi-Wolke umgeben.

Dazu kam noch der Freizeitverkehr: Es sprach sich schnell herum, wo es die schicksten Penthouses, die spektakulärsten Villen und hübschesten Privatbuchten der Promis gab. Jegliche Flugverbotszonen waren bei der Liberalisierung des Luftrechts abgeschafft worden, und so verdunkelte sich regelmäßig die Sonne über den Swimmingpools der oberen Zehntausend. Der Wert ihrer Villen und Penthouses stürzte ab.

Dafür waren unerschlossene Grundstücke fernab jeglicher Straßen begehrt. Wenn schon ins Grüne ziehen, dann richtig, sagten sich viele Pendler und bauten sich autarke Häuser irgendwo im Nirgendwo, die nur noch aus der Luft zu erreichen waren. Das fachte den Absatz der Flugautos noch weiter an, denn um zum Unterricht, zur Klavierstunde oder zum Hockeytraining zu kommen, brauchten Kinder eigene Shuttles.

In den Innenstädten hingegen wollte niemand mehr wohnen, zumindest nicht in den oberen Etagen. Der Immobilienmarkt drehte sich komplett um. Nur wer es sich nicht anders leisten konnte, hauste noch in den ehedem so beliebten oberen Etagen und Penthouses, mitten im Schwarm der Pendler auf dem Weg in die Natur. An Wert hingegen gewannen die ebenerdigen Wohnungen. Zunächst waren es nur Künstler und Freaks, die ihren Charme wiederentdeckten. Bald zogen auch wohlhabende Bürger nach, weil sie in tiefen Häuserschluchten noch am ehesten ihre Ruhe hatten. (grh)