Klinische Tests ohne Patienten

Hans Clevers will Organoide benutzen, um die Wirksamkeit eines teuren Medikaments vorab zu testen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Antonio Regalado

Eine Entscheidung des niederländischen Gesundheitsministeriums rief Hans Clevers auf den Plan. Die amerikanische Biotechfirma Vertex wollte ein neues Mittel gegen Mukoviszidose auf den Markt bringen, doch das Ministerium brach im Frühjahr die Verhandlungen zunächst ab, weil es zu teuer und nicht wirksam genug sei.

Diesen Schritt hielt Clevers, Professor für Molekularbiologie mit einer eigenen Forschungsgruppe am Hubrecht Institute in Utrecht, für zu radikal. Also startete er mit Unterstützung niederländischer Versicherungen ein ungewöhnliches Projekt: Er will aus dem Zellmaterial der 1500 betroffenen Mukoviszidose-Patienten organähnliche Strukturen im Labor herstellen und das Medikament an diesen testen. So will er zeigen, welchen Patienten das Medikament wirklich hilft.

Entwickelt wurde Orkambi für all jene, die von einer der etwa 2000 die zystische Fibrose (Mukoviszidose) verursachenden Genmutationen betroffen sind. Dazu gehört etwa die Hälfte aller Mukoviszidose-Patienten. Laut Vertex sollten sie alle von dem Medikament profitieren. In Deutschland steht das Präparat bereits zur Verfügung und kostete voriges Jahr rund 13000 Euro monatlich. Nieder-ländische Wissenschaftler und Patientenorganisationen sagen allerdings, dass die Wirkung keineswegs so durchschlagend ist, wie von Vertex versprochen.

Clevers führt nun eine Koalition aus Patientengruppen, Versicherungen und Biologen an, um den Wirkstoff zu retten. Die Versuche mit sogenannten Organoiden sollen einen gezielten, preisbewussten Einsatz des Medikaments ermöglichen. "Das Organoid vertritt den Patienten wie ein Avatar", sagt Hans Clevers. "Am Ende würde man das Medikament nur jenen Patienten geben, die wirklich davon profitieren."

Sollte Clevers' Plan Wirklichkeit werden, könnte er einen signifikanten Wandel einleiten. Zum ersten Mal würden Versuche an Mini-Organoiden und nicht nur Bluttests oder die Symptome allein bei der Entscheidung berücksichtigt, wer die weltweit teuersten Präparate erhält.

Dem Labor des Wissenschaftlers ist es bereits gelungen, aus dem Rektum von Patienten Zellproben zu entnehmen und daraus kleine Stücke von Darmgewebe zu züchten – inklusive der Krypten und Zotten, wie man sie im unteren Darmbereich beim Menschen findet. Mittlerweile vermarktet die Nonprofit-Organisation "HUB Foundation for Organoid Technology" Clevers' Verfahren in den Niederlanden. Zu den Kunden zählt auch Vertex. Die Bostoner Firma hat bereits in den Niederlanden sowie an einem Standort in Israel zwei klinische Studien an Organoiden gestartet. Ziel ist auch hier herauszufinden, wie sie auf die Medikamente reagieren und welche Patienten am Ende profitieren werden.

Trotzdem beharrt Vertex im Falle von Orkambi darauf, dass eine große Studie mit Freiwilligen der "Goldstandard" sei und nicht durch Ergebnisse mit Organoiden ersetzt werden sollte. "Die Wissenschaft steht hinsichtlich der Organoide noch am Anfang", sagt Mark Higgins, leitender medizinischer Direktor der Abteilung für zystische Fibrose bei Vertex. Die Firma sieht die Rolle der Organoide eher darin, herauszufinden, ob sich der Personenkreis der Nutznießer ihrer Medikamente erweitern lässt. Bei Kalydeco – Vertex' zweitem Mukoviszidose-Medikament, das einem von 25 Patienten helfen kann – war dies tatsächlich der Fall.

Hier stellte Clevers fest, dass das Organoid eines Patienten mit einer besonders seltenen Mutation auf das Präparat ansprach. Als der junge Mann die Arznei erhielt, besserte sich sein Zustand Clevers zufolge "innerhalb von Stunden". Bislang weiß man allerdings nicht, wie gut die Organoide die Langzeitwirkung bei einem Patienten prognostizieren können. "Es ist definitiv nicht klar, wie akkurat sie arbeiten", sagt Finn Hawkins, der selbst an der Boston University mit Lungen-Organoiden arbeitet. "Aber ich denke, es ist die Zukunft der Medizin." (bsc)