Was tun gegen Fake News? Regulierung und mehr Wissen über Shitstorms bei den Usern

Philosoph Vincent Fella Hendricks beschäftigt sich mit manipulierten Entscheidungsprozessen im Zeitalter von Filter Bubbles und Fake News. Im Interview beschreibt er das Problem.

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Gegen Fake News: Regulierung und mehr Wissen über Shitstorms bei den Usern
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Vincent Fella Hendricks ist Logiker, Philosoph und Direktor am Center for Information and Bubble Studies an der Universität Kopenhagen. Sein Buch zum Thema Fake News wird aktuell ins Deutsche, Englische und Spanische übersetzt und der Däne ist ein gefragter Experte nicht nur bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), sondern auch bei der Europäischen Union. Vergangene Woche empfahl er bei einer Veranstaltung der Liberalen Fraktion im Europaparlament die Vermittlung von strukturellen Wissens über Fake News sowie eine Angleichung der Behandlung von Social-Media-Plattformen und klassischer Medienhäusern.

heise: Professor Hendricks, sind Sie selbst besorgt, dass Fake News Sie in Ihren Entscheidungen manipulieren könnten? Ist das eine Bedrohung?

Hendricks: Sagen wir es einmal so, ich bin mir bewusst, dass ich sehr vorsichtig sein muss, auf welcher Grundlage ich Entscheidungen treffe, wenn ich aktuelle Nachrichten nutze. Ich brauche angesichts der Fülle von Informationen, die es zu sondieren gibt, mehr Zeit, um sicher zu stellen, dass ich qualifizierte Entscheidungen treffe. Ich würde nicht sagen, ich fühle mich bedroht. Aber ich bin mir sehr bewusst, dass dass es da ein Problem gibt.

Hat sich das in den vergangenen Jahren verändert?

Es ist mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Fake News gab es schon immer. Sie sind nichts Neues. Neu ist die Art und Weise, wie sich Fake News verbreiten. Das hat sich seit der Ankunft des Web dramatisch verändert. So gesehen haben wir es also mit einer der Konsequenzen der größeren Verfügbarkeit von Information zu tun.

Sind Sie schon mal auf Fake News hereingefallen?

Vermutlich ja, aber ich kann mich keiner konkreten Situation entsinnen. Das ist vielleicht gerade beunruhigend, dass ich keine spezielle Situation benennen kann. Möglicherweise war ich schon oft Opfer. Wie gesagt, was ich tue, ist, mir das Problem bewusst zu machen und meine Quellen zu prüfen.

Wie definieren sie Fake News?

Fake News sind ein Stück Information oder eine Nachricht, die Wahrheit und Unwahrheit vermischt und dabei vortäuscht, Journalismus zu sein. Es ist eine Simulation von Journalismus und wahrheitsgemäßer Berichterstattung. Es handelt sich in Wirklichkeit nicht darum, aber es wird als solches präsentiert und es ist sehr schwer, fest zu stellen, ob es sich um eine Nachricht handelt oder nicht. Grundsätzlich sind Fake News nicht einfach falsch, sondern eine Kombination aus Wahrheit und Unwahrheit, verbunden mit der Vortäuschung des nachrichtlichen Charakters.

Wie unterscheiden Sie das von Propaganda?

Propaganda und Fake News sind in gewisser Weise verwandt. Der Unterschied ist, das es für Fake News verschiedene Motive gibt. Man kann Nachrichten konstruieren, um zu trollen, also die Kommunikation zu stören, oder mit dem Ziel politischen Einfluss zu erlangen oder für Geld. Propaganda verfolgt in der Regel ein politisches Ziel. Bei Fake News muss das nicht zwangsläufig so sein. Die Motivation für Fake News kann sehr unterschiedlich sein. Sie können auch zum Spaß lanciert werden oder aber allein, um Kasse zu machen.

Gezielte Falschinformationen von Regierungen haben vor ein paar Jahren ganze Bevölkerungen über die Gründe für einen Kriegseintritt im Irak getäuscht. Warum sind Fake News heute so ein großes Thema?

Fake News sind genau deshalb ein bedeutendes Thema, weil sie erwiesenermaßen funktioniert haben. Man kann tatsächlich Wähler umdrehen. Man kann Wahlen beeinflussen. Man kann Gewissheiten schaffen, ohne dass an ihnen etwas Wahres ist. Was wahr ist, ist nicht zwangsläufig viral, und was sich wie ein Lauffeuer viral verbreitet, ist nicht zwangsläufig wahr. Das Problem, das wir haben, ist: Information ist die Grundlage für Überlegung, Entscheidung, Handlung. Wenn man das manipulieren will, bedient man sich Fake News.

Sind angesichts des Irakbeispiel wirklich Fake News das Hauptproblem? Oder sind es politische Institutionen, die das Spiel mitspielen?

Wir haben hier ein Dreiecksverhältnis. Fake News leben praktisch in diesem Dreieck zwischen Politikern, Presse und Bürgern. Politiker sind nicht allein verantwortlich. Die Bürger sind nicht allein verantwortlich. Die Presse ist es nicht. Es ist die Verbindung von Politikern, die sich darum sorgen, was sich politisch am besten verkaufen lässt, von einer Presse, die sich sorgt, welche Geschichten sich am besten verkaufen und aus Bürgern, die ganz bestimmte Geschichten hören wollen. So fangen Leute an zu spekulieren, welche Informationen sie am besten an den Mann bringen und welche nicht. Da haben Sie das Hauptproblem.

Schlechte Geschichten, Fake News, verkaufen sich gut, oder sogar besser als gute News. Sie sprechen in Ihrem Buch von einem praktischen Marktversagen. Muss aus ihrer Sicht die Konsequenz die Regulierung des Nachrichtenmarktes sein?

Minderwertige Nachrichten können sich lange am Markt halten, auch wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen. Also könnte die Behandlung der reichweitenstarken Plattformen, Facebook, Google und so weiter als Medienplattformen in Erwägung gezogen werden. Wenn sie Medien in Größe und Reichweite gleichen, warum sollten sie dann nicht den Gesetzen der Presse, den Prinzipien journalistischer Arbeit und Exzellenz und den Praktiken einer guten Presse unterworfen werden. So gesehen ist Regulierung ein Teil der Antwort. Der Rest ist vor allem digitale Bildung und die Förderung informationeller Neugier.

Sie haben gesagt, jeder Teenager soll wissen, wie man einen Shitstorm erzeugt….

...und wie man ihn beendet. Wissen über die Strukturen, auch von Fake News, halte ich für entscheidend.

Ist aber Facebook tatsächlich ein Medienunternehmen?

Es schmeckt so, es sieht so aus, es kann die gleichen Dinge tun und mehr – warum wollen Sie denn noch unterschieden zwischen etablierten Medien und sozialen Plattformen? Sie bekommen einen verzerrten Wettbewerb, wenn Journalisten wie Sie sich an die Regeln zu halten haben, während Desperados, die sich sozialer Plattformen bedienen, das nicht müssen. Wenn man das gleiche tut wie ein Nachrichtenmedium tut, warum sollte man nicht auch anerkennen, dass man ein Nachrichtenmedium ist.

Sie hatten selbst gesagt, Quellen zu prüfen hilft. Adeln wir Facebook nicht zu Unrecht, indem wir sagen, es macht Nachrichten, ist es nicht mehr wie ein digitaler Stammtisch?

Die einzige Frage ist, wie halten wir es mit der Verantwortung, wenn sie zum Herausgeber werden. Und jeder Nutzer kann über ein soziales Netzwerk zum Herausgeber werden, einen Zugang zur Öffentlichkeit bekommen. Wenn man diesen Zugang zur Öffentlichkeit hat, muss man vielleicht auch die Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber übernehmen. Das fällt auf den Nutzer zurück, aber auch auf die Organisation. Machen wir uns nichts vor, Facebook macht eine Menge Geld mit seinen Produkten, das heißt seinen Journalisten, das heißt seinen Nutzern, beziehungsweise den Informationen, die sie produzieren. Schaut man sich die Community Standards von Facebook an, wird da übrigens auch kräftig reguliert. Da gibt es eine Menge Sachen, die nicht erlaubt sind – und natürlich machen die Leute es trotzdem. Also, warum nicht Worten Taten folgen lassen und die Prinzipien, die man bei der Auswahl der publizierten Information anlegt – und Facebook wählt aus und agiert klar wie ein Herausgeber – zur verbindlichen Grundlage für die Nutzer, Journalisten machen, wie es in den Community Standards ja auch angelegt ist.

Es wurde gerade bekannt, dass Facebook Anzeigenplatz an russische Trolle verkauft hat, sind schärfere Regelungen fürs Anzeigengeschäft notwendig?

Es gilt doch für alle Firmen, wer Landminen verkauft, weiß genau, in was für einem Geschäft er tätig ist. Und wer Anzeigenplätze für Fake News verkauft, weiß es auch. Wenn man Accounts für russische Fake News verkauft, weiß man auch, was man anrichtet. Facebook hat das ganz offensichtlich immer gewusst. Die Frage ist, steht es im Einklang mit der erklärten Corporate Social Responsbilitiy? Wohl kaum, sonst wäre es ja keine große Sache. Wenn man sich als Unternehmen verantwortungsbewusst verhalten will, ist es, glaube ich, ist es keine gute Idee, Wahlen durch den Verkauf von Anzeigenplätzen und Accounts an russische Syndikate zu manipulieren.

Was raten Sie der EU angesichts der neuesten Informationen?

Die EU hat eine Menge Macht, sei es in Bezug auf moralische Widerstandskraft aber auch ihre regulativen Verfahren. Es ist an der Zeit, den großen Playern zu sagen, wir haben Gesprächsbedarf. Wie haben ein gemeinsames Problem und brauchen eine Lösung. Ich denke nicht an einen erhobenen Zeigefinger, sondern an eine Anstrengung, eine gemeinsame Lösung zu finden. Denn das sind globale Probleme und sie müssen gemeinsam vom Regulierer, den Unternehmen und den Bürgern gelöst werden.

Halten Sie das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz dann für den richtigen Weg?

Ich glaube, das ist sehr schwer umsetzbar. Da werden wir eine Menge Grenzfälle zwischen Löschung von Fake News und Beschneidung von freier Meinung andererseits bekommen. Man muss sich klar sagen, es geht nicht, dass Fake News verbreitet werden und jemand damit viel Geld verdient.

Was wäre das beste Mittel gegen Fake News?

Wie das Weltwirtschaftsforum es gesagt hat, Falschinformationen im Web sind heute ein globale Herausforderung von ähnlich dramatischer Qualität wie Klimawandel oder Ungleichheit. Da geht es nicht um ein Mittel, es geht vielmehr um eine sehr große Initiative von Regulierern, Unternehmen, Bürgern und Politikern. Wo fängt man an? Man isoliert die Player und verlangt von ihnen, Vorschläge für Verbesserungen zu machen, die nicht gleich die Meinungsfreiheit oder alle möglichen Geschäftsmodelle kaputt machen.

Und werden wir Fake News dann los?

Nein, nicht so wie der Markt aktuell strukturiert ist. Es ist einfach ein zu gutes Geschäft. (axk)