Vom vorauseilenden Gehorsam

Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard ergründet in seinem neuen Buch die Herkunft des Begriffs des "Profils" in sozialen Netzwerken und wirft damit ein anderes Licht auf die Darstellungswerkzeuge von vermeintlicher Emanzipation.

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Im Internet surfen, in sozialen Netzwerken ein Profil anlegen, auf dem Smartphone mithilfe der Ermittlung des eigenen Standorts ein gutes Restaurant in unmittelbarer Nähe suchen – Prozesse wie diese haben die viele Menschen verinnerlicht und nutzen diese Technologien wie ganz selbstverständlich. Und gerade diesen Prozessen geht Andreas Bernard in seinem neuesten Buch auf die Spur. Der Kulturwissenschaftler und Professor am "Center for Digital Cultures" an der Universität Lüneburg beschäftigt sich dabei vor allem mit dem Begriff des "Profils", der Möglichkeit der Standortermittlung und der "Quantified-Self"-Bewegung. Denn diese Facetten sind Aspekte der Darstellung des "Selbst in der digitalen Kultur", wie seine Publikation im Untertitel heißt.

Bernard geht es weniger um die technischen Aspekte, vielmehr beabsichtigt er eine Herkunftsbeleuchtung um die Begriffe und Techniken, die regelmäßige Nutzer von Internet und Sozialen Netzwerken sich täglich bedienen. Zentral dabei ist die Frage, wie den Verfahren, die ihre Ursprünge in der Kriminologie und der Psychiatrie haben, ein solcher Aufschwung gelingen konnte, dass sie im 21. Jahrhundert als Werkzeuge der Selbstermächtigung und Emanzipation im Netz wahrgenommen und genutzt werden. Damit rollt er die Darstellung vom digitalen Selbst historisch auf und schafft damit eine interessante und neue Sichtweise auf die täglich und wie selbstverständlich genutzten Techniken.

Er geht dabei strukturiert vor und arbeitet zunächst den Begriff des "Profils" historisch auf. Beginnend bei psychologischen Test an Kindern am Anfang des 20. Jahrhunderts, um verhaltensauffällige Kinder einer geeigneten Schulart zuzuweisen, über die Analyse des Tatorts, um auf das Profil des Täters zu schließen, den Einzug des Begriffs im Marketing, um Zielgruppen zu ermitteln und der Popularität und Notwendigkeit eines schlüssigen Profils bei Bewerbungsschreiben. Mit dieser Herleitung lässt Bernard die Konjunktur des freiwillig preisgegebenen Profils in sozialen Netzwerken oder auf eigenen Webseiten in einem anderen Licht erscheinen. Einem Licht, das vielleicht nicht unbedingt neuerleuchtet, aber in der verdichteten Aufarbeitung im Buch doch womöglich ein Mehr an Sensibilität, für das, was der Internetnutzer in seinem Profil verrät, erwecken mag.

Ebenso wie beim Begriff des "Profils" beschreibt Bernard die Entwicklungsgeschichte von ortungsbezogenen Technologien und der Motivation zur Devise "Quantify yourself". Für technisch versierte Leser beziehungsweise an Navigationssystemen interessierte Leser wird die Rekapitulation vom Werdegang des "Global Positioning Systems" (GPS) nicht viel Neues bieten. Interessanter wird es dann wieder bei der Aufhebung der künstlichen Ungenauigkeit der Satellitensignale im Jahr 2000, dem damit entstehenden Boom von Anwendungen im zivilen Bereich und der Vorstellung des iPhones im Jahr 2007, als erstem tatsächlichem Smartphone für die Massen. Auch in der Herkunftsgeschichte von Ortungsdiensten verweist der Autor auf den zunächst militärischen Einsatz, dann auf den kriminaltechnischen. Abermals zeigt sich die Stärke des Buchs in der Verdichtung, wenn Bernard etwa die technischen Ähnlichkeiten, aber die unterschiedlichen Beweggründe der Nutzung zusammenführt – etwa wenn er die elektronische Fuß- beziehungsweise Armfessel für Straftäter als sichtbares Zeichen zur Stigmatisierung beschreibt und danach auf die als Statussymbol erworbene Apple Watch verweist.

Über das Buch hinweg bedient sich Bernard eines angenehm sachlichen und analytischen Tons, der nicht verurteilend, etwa für jene, die zum Beispiel gerne die App Foursquare nutzen und andere Nutzer damit wissen, wo sie sich gerade aufhalten, daherkommt. Wie jedoch die Entwicklung des gern genutzten digitalen Profils als angebliches Selbstermächtigungswerkzeugs des Nutzers im Netz einzuordnen ist, erfolgt dabei ebenso nüchtern. Er geht von so sehr verinnerlichten Prozessen der Selbstmitteilung und Selbstbewertung aus, dass sie als vorauseilender Gehorsam gedeutet werden können gegenüber ebenjenen Kontrollmechanismen, die einst übergeordnete Instanzen wie der Staat eingeführt haben, um etwa Straftäter zu überwachen oder Patienten zu behandeln. Eine durchaus streitbare These, denn schließlich obliegt jeder Nutzung der modernen Dienst die Freiwilligkeit. Die Frage, warum die Nutzer diesem vorauseilenden Gehorsam unterliegen, beantwortet Bernard mit seiner Annahme nicht hinlänglich. So regt das durchaus interessante Buch zu Diskussion und Reflexion der eigenen Nutzung sozialer Netzwerke und anderer selbstzentrierter Mitteilungsmöglichkeiten an.

Andreas Bernard: "Komplizen des Erkennungsdienstes. Das Selbst in der digitalen Kultur". S. Fischer, 240 Seiten, 24 Euro

(jle)