Wem gehört der Fortschritt?

Darf ein Wissenschaftler seine eigenen Forschungsergebnise im Internet veröffentlichen? Der Elsevier-Verlag hat dazu ganz eigene Ansichten.

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Der Elsevier Wissenschaftsverlag und die Amerikanische Chemische Gesellschaft (ACS) haben das Wissenschaftsnetzwerk Researchgate wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Damit spitzt sich die Lage für das hochgelobte deutsche Start-Up, in das auch Microsoft-Gründer Bill Gates bereits vor Jahren investiert hatte, erheblich zu.

Für alle, die nicht so ganz drin sind in der Materie: Researchgate ist ein soziales Netzwerk für Wissenschaftler. Wozu soll das gut sein? Forschung ist doch schon immer auf Zusammenarbeit angewiesen? Na ja, im Prinzip ja, aber... Die Zusammenarbeit in der Forschung ist zwar gewollt, klappt aber ganz oft nicht sonderlich gut, weil der Erfolg wissenschaftlicher Arbeit nicht am generellen Fortschritt einer Disziplin gemessen wird – zum Beispiel der Entwicklung neuer Therapien oder der Entdeckung grundlegender, neuer Zusammenhänge – sondern am wissenschaftlichen Output des einzelnen Forschers, seiner Arbeitsgruppe oder seines Instituts. Wissenschaftlicher Austausch und Diskussion funktioniert also im Wesentlichen über wissenschaftliche Veröffentlichungen. Und das dauert. Von einer Idee oder Entdeckung bis zur Veröffentlichung kann gerne mal ein Jahr vergehen. Auch noch im 21. Jahrhundert.

In diese Lücke ist Researchgate 2008 gestoßen – als eine Art Gegenmodell zum herkömmlichen akademischen Betrieb. Die vom Gründer Ijad Madisch auch gerne mal "digitales Lagefeuer" genannte Plattform ermöglicht einen schnellen, unkomplizierten Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Forschern. Natürlich kann man auf der Plattform auch eigene wissenschaftliche Paper hochladen. Schließlich erfahren die anderen User so am besten, was man bereits gemacht hat, welche Probleme man lösen konnte, und wo man sich die Zähne ausgebissen hat. Und genau daran nehmen der Elsevier-Verlag und die ACS nun Anstoß. Sie möchten, dass Paper nur noch geschlossenen Nutzergruppen zugänglich gemacht werden – und auch dann nur unter eingeschränkten Bedingungen.

Nun könnte man sagen: Gut, dann sollen die Juristen das doch unter sich klären. Aber die ganze Angelegenheit hat zwei recht brisante Aspekte: Zum einen verdient der Elsevier-Verlag nicht nur ganz prächtig an wissenschaftlichen Zeitschriften, er besitzt seit einigen Jahren mit Mendeley auch einen Konkurrenten zu Researchgate. Der Verdacht liegt also nahe, dass der Verlag sich hier einen Wettbewerber vom Hals klagen will.

Zum anderen erfreuen sich Plattformen wie Researchgate und Mendeley gerade unter jungen Leuten wachsender Beliebtheit. Neue – kollektive – Formen der wissenschaftlichen Arbeit, bei denen nicht so sehr die Einzelleistung, sondern mehr der gesamte Fortschritt im Mittelpunkt stehen – sind auf diese Weise möglich. Es wäre extrem bedauerlich, wenn diese Formen der Zusammenarbeit ausgebremst werden, weil sie den Profitinteressen weniger wissenschaftlicher Verlage im Wege stehen.

(wst)