Forschung im Superlativ

China verfolgt Projekte im XXL-Format. Leider hält die Veröffentlichungspraxis dabei einen traurigen Rekord, der den Ambitionen des Landes einen Dämpfer versetzt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.

Keine Frage: China verfolgt in puncto Wissenschaft und Forschung stringent den Weg der Superlativen. In der September-Ausgabe von Technology Review berichteten wir über die derzeitigen Projekte im XXL-Format, die die Volksrepublik verfolgt. Dazu gehört etwa der Teilchenbeschleuniger CEPC, der doppelt so groß werden soll wie der Large Hadron Collider im CERN, oder das größte Radioteleskop der Welt, das in der südwestchinesischen Provinz Guizhou steht. Ambitionierte Einrichtungen und Vorhaben haben natürlich das Ziel, hochrangige Wissenschaftler ins Land zu locken beziehungsweise chinesische Forscher, die es ins Ausland zog wieder in die Heimat zu holen. Eine Nachricht wie diese könnte den Ambitionen des Landes allerdings einen Dämpfer versetzen.

Laut eines Berichts in der New York Times hat China seit 2012 mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen aufgrund von gefälschten Peer Reviews zurückgezogen als alle anderen Länder zusammen. Die Autorin bezieht sich dabei auf den Blog "Retraction Watch", der es sich zur Aufgabe gemacht hat, zurückgezogenen wissenschaftliche Paper im Auge zu behalten. Der Blog gibt an, dass die Forschungszeitschrift Tumor Biology allein im April 107 Veröffentlichungen zurückzog, die zwischen 2012 und 2016 publiziert wurden und von denen die Mehrheit von chinesischen Verfassern stammte. Allein die schiere Anzahl an gesammelt zurückgezogenen Aufsätzen ist ein trauriger Rekord. Für Aufsehen hatte auch ein chinesischer Genforscher gesorgt, der zunächst für Erfolge in seinem Feld gefeiert worden war, aber sich schließlich seine Ergebnisse nicht reproduzieren ließen. Das alles zusammengenommen klingt wahrlich nicht feierlich.

Die hohe Anzahl der zurückgezogenen Paper in China muss zwar auch in Perspektive mit der großen Dimension des Landes gesehen werden. Doch das entschuldigt nicht den scheinbar systematischen Betrug, der hinter dieser Praxis steckt. Jedoch ist die Zahl der zurückgezogenen Paper auch ein Anzeichen für den Druck in der wissenschaftlichen Veröffentlichungspraxis. Dass Forscher angespornt werden, möglichst viele Paper zu schreiben und dadurch Zitierungen zu erhalten, ist kein Geheimnis – und schon gar nicht allein ein Problem Chinas.

Dennoch scheint China ein besonderer Fall zu sein, wenn die Quantität der Arbeit sehr viel höher gewertet wird als die Qualität. Veröffentlichungen in angesehenen Journals mit Forschungsgeldern oder Beförderungen zu belohnen, unterstützt diesen Trend noch eher als dass Abhilfe geleistet wird. Und wenn das zurückgezogene Paper nach einiger Zeit sowieso wieder vergessen ist, wie es in China der Fall ist, liegt die Hemmschwelle niedrig, für ein Peer Review, der von einem unabhängigen Wissenschaftler kommen sollte, eine falsche E-Mailadresse als Kontakt anzugeben oder gar einen Dienstleister damit zu beauftragen, ein solches Review zu schreiben. Für eine Änderung dieser Auswirkung muss also an verschiedenen Stellschrauben im chinesischen Forschungsbetrieb geschraubt werden. Nur so könnte es gelingen, das Land mit seinen XXL-Projekten für die gewünschten exzellenten Wissenschaftler noch attraktiver zu machen.

(jle)