Nun kommt die Zukunft

Wenn jemand eine analoge Fortbewegung tut, so kann er was von der Digitalisierung erzählen. Wenn er dabei im Rollstuhl sitzt, erst recht.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Beliebt für kurze Reisen im Rollstuhl ist der unter dem nicht ganz barrierefrei artikulierbaren Kürzel ÖPNV, sprich Ö-Pe-eN-Vau, zusammengefasste öffentliche Personennahverkehr. Kommen, um das anvisierte Verkehrsmittel zu erreichen, noch Infrastrukturteile wie Fahrstühle ins Spiel, wird es gleich richtig spannend. Schaffe ich es bis auf den Bahnsteig oder ist der Aufzug wieder mal im Eimer?

Eine bange Frage im übrigen, die nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch andere Mitglieder einer Solidargemeinschaft aus Frauen mit Kinderwagen, Rollator-schiebenden Senioren, Fahrradfahrern und unglaublich dicken Amerikanern beschäftigt, für die steile Treppen ein No-go sind. Moderne Lagerhaltung ist keine Lagerhaltung und Lieferung Just-in-time, soweit die Theorie. In der Praxis heißt das: die ÖPNV-Betreiber haben keine Ersatzteile mehr gelagert und oft dauert es Wochen, bis der Aufzug an einen öffentlich frequentierten Ort repariert wird. Wünschenswert wäre eine Analogisierung des Internet-Prinzips mit seinen Ausweichrouten.

Zwar gibt es längst Telefonnummern und Apps, mit denen man in größeren Städten die, sozusagen, Fahrstuhlwetterlage abfragen kann. Aber Aufzüge scheinen zu jenen Geräten zu gehören, die schon jetzt über eine allerdings fiese Form der künstlichen Intelligenz verfügen: Sie wissen genau, wann sie kaputtgehen müssen, um einem die größtmöglichen Ungelegenheiten zu bescheren. In solchen Fällen tritt ein entscheidendes Element auf den Plan: Die Menschen, mit denen man es als Problempartner zu tun bekommt.

Ich leide an chronischer Ägyptomanie und war deshalb bereits mehrfach im Rollstuhl in Kairo. Die Bürgersteige dort sind an vielen Stellen, da anderenfalls sofort alles zugeparkt wäre, einen Viertel- bis halben Meter hoch – eine für Rollstuhlfahrer unüberwindliche Höhe. Aber es ist immer jemand da, der hilft. Tag und Nacht sitzen Männer auf Stühlen am Bürgersteig, reden und rauchen Wasserpfeife, und ich brauche mich gar nicht groß bemerkbar zu machen, schon werde ich hochgezogen oder hinabgelassen von guten Geistern, die freundlich, aber bestimmt jedes Bakschisch verweigern.

Anders zu Hause in Deutschland. Ich war noch nicht in Berlin ansässig und es ist auch schon ein paar Jahre her, dass ich eigens anreiste, um die Büste der Nofretete zu sehen. Sie war damals noch in einem alten Museumsgebäude einquartiert, mit einer Treppe aus flachen, bequemen Stufen am Eingang. Ich sprach einen der uniformierten Museumsbediensteten an, ob er mich, vielleicht mit einem Kollegen, kurz hochziehen könnte. Er sagte, dass er mir leider nicht helfen dürfe, aus versicherungsrechtlichen Gründen, und ich sah, wie unangenehm ihm das war, nicht helfen zu dürfen, obwohl er es wollte. Bürokratie kann eine höhere Barriere sein als eine Bürgersteigkante.

Anders die Folgen amtlichen Verwaltungshandelns, die mir während einer Reise nach Japan begegneten. Wird in Tokio eine Straßen aufgegraben, ist das erste, woran man den Weg um die Baugrube erkennen kann, das provisorische Blindenleitsystem, das ausgelegt wird. An jeder Baustelle gibt es zudem einen Mann, der nur dazu da ist, sich dafür zu entschuldigen, dass es die Baustelle gibt und der einem abends mit einer Art Lichtschwert in der Hand eindrucksvoll voranschreitet.

Auch in Tokio sind Bahnhöfe spannend, der Bahnhof von Shinjuku etwa, den täglich mehr als zweieinhalb Millionen Menschen durchqueren. Ich wollte da einmal zur Hauptverkehrszeit rein, der Rollstuhl würde mir Schutz davor bieten, von der unfassbaren Menschenmenge verschluckt zu werden. Mitten in einer der Hallen hielt ich einfach an, in einem Niagarafall aus Menschen, der von den Rolltreppen herabflutete. Alle hier bewegen sich sehr schnell und gehen doch bedacht miteinander um, nicht einmal mit dem Jackett wird man gestreift. Ich fühlte mich wie ein Elektron in einem Mikrochip.

Nun kommt die Zukunft, mit fahrerlosen Fahrzeugen. Melancholisch werden leere Rollstühle autonom über die Straßen der Welt rollen. Behinderte Roboter werden Zuspruch erfahren. Und manchmal wird einem eine in den Unbedingt-Modus geratene Pflegedrohne helfen – ob man nun will oder nicht. (bsc)