Angriff aufs Antlitz

Um kein Körperteil wird derzeit so massiv gerungen wie um das menschliche Gesicht.

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Von
  • Peter Glaser

1912 entwarf Franz Kafka mit seiner Erzählung "Die Verwandlung" eine beklemmende Vision des nachfolgenden technischen Jahrhunderts. Nach unruhigen Träumen findet ein Mann sich in seinem Bett "zu einem ungeheueren Käfer verwandelt". Insekten erinnern uns seit jeher eher an starre Automaten als an die geschmeidige Vitalität von Säugetieren. Die Versuche des Menschen, sich in eine Maschine zu verwandeln – und sich selbst zu übertreffen –, kamen in Schwung.

1963 präsentierte der amerikanische Erfinder und Science-Fiction-Pionier Hugo Gernsbeck eine futuristische TV-Brille mit einem brikettgroßen Bildschirmklotz direkt vor den Augen. Antennen an beiden Seiten verliehen dem Träger tatsächlich etwas Insektenhaftes. Die Augen technisch zu verhängen, um in weitere Welten schauen zu können, war radikal. Zum Preis der Außenwahrnehmung schob sich eine wandelbare Medienschicht in den Blick.

1979 klammerte sich in Ridley Scotts "Alien" ein feindliches Rieseninsekt am Gesicht eines Astronauten fest. In den Neunzigerjahren, als Cyber-Avantgardisten damit begannen, sich klobige Datenbrillen umzubinden, um in computergeschaffene Innenwelten einzutauchen, begann die Domestizierung des "Facehuggers".

Heute scheint das Grauen geradezu niedlich. Wissenschaftler der Universität Newcastle statteten jüngst Gottesanbeterinnen mit winzigen 3D-Brillen aus, um das visuelle System der Fangschrecken zu erforschen und Roboteraugen zu verbessern. Und das im Gesicht sitzende Alien gibt es inzwischen auch aus Plüsch, bei 30 Grad in der Waschmaschine waschbar.

Nun sind es nicht mehr Außerirdische, sondern Wearables, die uns auf den Leib rücken. Schuhe, die einen durch Vibrationen in die richtige Richtung navigieren sollen. Exoskelette, die Superkräfte verleihen. Schmuck, der sich mit dem Smartphone verbindet. Sogar intelligente Tattoos, Tampons und Innerohrbeleuchtung gibt es bereits. Die vorderste Front im Kampf um die digitale Körper-Beherrschung aber führt durchs Gesicht. Dort versammeln sich Nahsinne (Riechen, Schmecken, Fühlen), Distanzsinne (Sehen, Hören) und Ausdrucksvermögen, denen nun eine cinematische Realität in Mittendrin-Qualität angeboten werden soll. Aber nicht alle nehmen an dem Angriff aufs Antlitz teil.

Der Kopf sei "der falsche Platz für Wearables", stichelte Apple-CEO Tim Cook gegen Googles Datenbrille Glass. Designdirektor Jony Ive assistierte ihm, er glaube nicht daran, dass das Gesicht die richtige Region für Technologieprodukte sei (auch wenn Apple ein Patent auf eine Kopfhalterung angemeldet hat, mit der sich ein Mobilgerät vor die Augen hängen lässt). Statt das Gesicht mit standardisierter Hardware auszustaffieren, versuchen die Apple-Ingenieure nun, dessen Individualität möglichst unaustricksbar zu erfassen – beim iPhone X ersetzt die Gesichtserkennung Face ID den bisherigen Fingerabdruck-Sensor als biometrischen Schlüssel. Mit Infrarot-Kameras und Tiefensensoren wird das Nutzergesicht gescannt und mit einem gelernten dreidimensionalen Modell verglichen.

Gesichtsgeräte seien im übrigen "seltsam und Distanz erzeugend", befand das Technikportal "The Verge". Und auch Modebeobachter monieren, dass FaceTech immer noch ziemlich hässlich sei und die Hersteller begreifen sollten, dass Verbraucher sich nur ungern das Gesicht umbauen lassen. Vielleicht müssen einfach die nächsten Miniaturisierungsschritte übersprungen werden. Google und Samsung arbeiten schon an einer smarten Kontaktlinse, die kaum mehr erkennbar sein wird.

Sie soll als erstes die Zuckerwerte von Diabetikern in bisher unerreichter Genauigkeit messen. Bei körpernahen oder invasiven Techniken wie etwa Chip-Implantaten ist Medizintechnik oft das Portal, das Angst und Widerwillen vor derlei Zudringlichkeiten beseitigt. In der Kontaktlinse von Samsung ist übrigens bereits eine winzige Kamera integriert. (bsc)