Gen-Daten für alle

Ein öffentliches Projekt in Großbritannien macht Daten über Gene, Krankheiten und Eigenschaften von 500.000 freiwilligen Teilnehmern allgemein zugänglich. Die Forschung dürfte davon massiv profitieren.

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Von
  • Antonio Regalado
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In diesem Sommer hat ein öffentliches Konsortium Gen- und Gesundheitsdaten von 500.000 Briten veröffentlicht. Laut Wissenschaftlern hat dies zu einer Welle von genetischen Erkenntnissen geführt, die das Tempo bei der Entwicklung von neuen Medikamenten und Testmöglichkeiten deutlich erhöhen könnte.

Die insgesamt mehreren Terabytes an Daten in der UK Biobank enthalten DNA-Daten sowie verschiedene weitere Informationen – von Angaben über Diabetes-Erkrankungen bis zu der Frage, ob eine Person lieber Tee oder Kaffee mag.

Wie ist der Zusammenhang zwischen Genen und Ernährung? Oder der zwischen DNA und Schizophrenie? Für die Datenbank wurden durch Wiegen, Befragungen und die Auswertung von Akten in staatlichen Krankenhäusern 2.500 unterschiedliche Phänotypen – oder Merkmale – bei den freiwillig teilnehmenden Bürgern festgestellt. Noch nie gab es eine derart umfangreiche Datensammlung, um sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.

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Auf dieser Grundlage entwickelt sich ein weltweiter Datenaustausch, bei dem Daten geteilt, in der Cloud gespeichert und mit schnell weiterentwickelten Computer-Werkzeugen analysiert werden. "Das ist ein grundlegender Wandel bezüglich Daten-Verfügbarkeit und für die Open-Science-Bewegung", sagt Benjamin Neale, ein Genetiker am Broad Institute im US-Bundesstaat Massachusetts. "Ich glaube, dass andere damit unter Druck geraten, sich dem Beispiel anzuschließen. Es gibt hier eine Veränderung der Einstellung, die wirklich bedeutsam ist."

Die britische Biobank unterscheidet sich von anderen Gen-Datenbanken unter anderem dadurch, dass sie im Prinzip kostenlos und als öffentliche Ressource verwaltet wird. Im Juli bekamen Wissenschaftler die Schlüssel, um zeitgleich mit ihrer Nutzung beginnen zu können. "Das sorgt für eine Angleichung der Ausgangsvoraussetzungen", sagt Matthew Nelson, Leiter Genetik bei dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline. "Statt zig oder hunderte Millionen für den Aufbau einer eigenen Biobank auszugeben, bezahlen wir jetzt nur eine Zugangsgebühr von 2.500 Dollar.“

Der Plan für die Daten-Freigabe war schon vor zwei Jahrzehnten von britischen Wissenschaftlern und Ärzten entworfen worden, die dann 250 Millionen Dollar Finanzierung von der britischen Regierung und großen wohltätigen Organisationen bekamen. Bei einer Rekrutierungsinitiative von 2006 bis 2010 reagierten eine halbe Million Briten im mittleren Alter auf den Aufruf, ihre Gen- und Gesundheitsinformationen zur Verfügung zu stellen.

Bei allen Teilnehmern wurde mit Hilfe eines DNA-Chips das Genom analysiert. Diese preisgünstige Untersuchung kostet ungefähr 50 Dollar und erkennt 835.000 Positionen, an denen sich Gene von denen anderer Personen unterscheiden. Man kann sich das Ergebnis ungefähr vorstellen wie eine verpixelte Kopie des vollständigen Genoms eines Menschen.

Und selbst eine solche Gen-Analyse mit geringer Auflösung ist sehr nützlich. In weniger als zwei Tagen Rechenzeit konnten die Statistiker in seinem Labor laut Neale anhand der britischen Daten feststellen, wie sehr sich Größe, Diabetes und sogar die Neigung zum Alkohol-Konsum genetisch erklärten lassen. Selbst die Frage, ob jemand eher mehr oder weniger fernsieht, sei "zumindest etwas vererbbar", sagt er.

Es gibt kein einzelnes Gen, das über das Interesse an Fernsehen bestimmt, ebenso wenig wie bei der Körpergröße. Stattdessen werden die häufigsten Eigenschaften von Menschen durch einen Sturm an winzigen Einflüssen von überall im sechs Milliarden Buchstaben umfassenden menschlichen Genom definiert. Genau nach diesen Zusammenhängen suchen Genetiker jetzt in den britischen Daten.

Bei GlaxoSmithKline (GSK) zum Beispiel werden die Daten für "reverse searches" (Rückwärts-Suchen) genutzt. Das Team von Nelson versucht also nicht, jedes Gen zu finden, das mit einer Krankheit zu tun hat. Stattdessen geht es um die Frage, welche gesundheitlichen Auswirkungen das Blockieren oder Stärken eines einzelnen Gens hat, wie es mit einem Medikament möglich wäre.

Wie sich bereits zeigt, liefern die medizinischen Informationen über Menschen mit natürlichen Mutationen bei bestimmten Genen gute Hinweise dazu. Haben sie häufiger Diabetes oder Herzinfarkte? Anhand der Daten kann man sozusagen die Wirkung eines Medikaments erkennen, bevor irgendjemand es genommen hat. "Das wird die Hauptanwendung der Biobank für Pharma-Unternehmen sein", sagt Nelson.

Obwohl sein Arbeitgeber pro Jahr Medikamente im Volumen von 30 Milliarden Dollar verkauft, habe er laut Nelson "nie die Ressourcen gehabt", um eine eigene Gen-Datenbank aufzubauen. Seit diesem Sommer aber steht GSK plötzlich auf einer Stufe mit Konkurrenten, die das getan haben. So meldete das isländische Unternehmen DeCode im März eine wichtige Entdeckung im Zusammenhang mit Asthma. Mit den britischen Daten konnte Nelson sie nach eigenen Angaben später "innerhalb von Stunden" nachvollziehen.

Die Daten des Projekts werden Ärzten allerdings nicht verraten, welcher Patient wann von welcher Krankheit betroffen sein wird, sagt Cathie Sudlow, wissenschaftliche Leiterin der Biobank: "Die meisten Krankheiten sind nicht allein anhand von DNA vorhersagbar. Eher lassen sich damit Krankheitsmechanismen erforschen."

(sma)