Arm durch Klimawandel

Steigende Temperaturen weltweit haben eine Reihe von negativen Folgen. Laut einer neuen Studie können sie sogar weit in die Zukunft reichen: Heiße Tage in der frühestens Kindheit drücken das Einkommen 30 Jahre später.

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Von
  • James Temple
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Ein zunehmender Korpus an Forschungsarbeiten spricht dafür, dass steigende Temperaturen weltweit die Gefahr von Hitzestress und Schlaganfällen erhöhen, Produktivität und Wirtschaftsleistung verringern, die globale Vermögensungleichheit zunehmen lassen und zu mehr Gewalt führen können.

Jetzt kommt eine neue Studie von Forschern an Stanford University, University of California in Berkeley und dem US-Finanzministerium hinzu, die belegt, dass sogar kurze Zeiträume mit extremer Hitze langfristige Folgen für Kinder und ihre finanzielle Zukunft haben können. Konkret beeinträchtigen laut dem Anfang Dezember in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Fachaufsatz Hitzewellen in der frühen Kindheit einschließlich der Zeit vor der Geburt die Einkommen Betroffener noch drei Jahrzehnte später: Jeder Tag, an dem die Temperaturen in der Zeit von der Zeugung bis zum Ende des ersten Lebensjahrs über 32 Grad lagen, fällt mit einem um 0,1 Prozent niedrigeren Einkommen im Alter von 30 Jahren zusammen.

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Für die Studie wurden 12 Millionen Menschen betrachtet, die zwischen 1969 und 1977 in den USA geboren wurden; die Informationen zum Einkommen stammen aus den neuerdings verfügbaren Daten des Programms Longitudinal Employer Household Dynamics des U.S. Census Bureau. Um die Auswirkungen der Temperatur zu isolieren und andere Variablen zu kontrollieren, nutzten die Forscher "feinkörnige" tägliche Wetterdaten und Informationen zum Geburtsort auf County-Ebene.

Mit der schwierigen Frage, auf welche Weise höhere Temperaturen zu einem niedrigeren Einkommen führen, haben sich die Forscher nicht direkt beschäftigt. Föten und Säuglinge seien "besonders empfindlich für hohe Temperaturen, weil ihre thermoregulatorischen und sympathischen Nervensysteme noch nicht voll entwickelt sind", schreiben sie dazu nur. Frühere Studien haben extreme Temperaturen in diesem frühen Lebensalter mit niedrigeren Geburtenraten und höherer Säuglingssterblichkeit in Verbindung gebracht. Außerdem ist ein ganzer Forschungszweig entstanden, der sich mit den Auswirkungen früher Gesundheitsschocks im Erwachsenenalter beschäftigt.

Potenziell gibt es mehrere Wege, über die höhere Temperaturen später zu niedrigeren Einkommen führen könnten, etwa schwächere Kognition, anhaltende gesundheitliche Probleme, die mehr Fehltage in der Schule und dann bei der Arbeit bedeuten, und Auswirkungen auf nicht-kognitive Eigenschaften wie Ehrgeiz, Entschlossenheit und Selbstkontrolle. Das erklärt Maya Rossin-Slater, eine Co-Autorin der Studie und Assistant Professor in der Stanford-Abteilung für Gesundheitsforschung und -politik.

Die größere Gefahr liegt hier darin, dass globale Erwärmung mehr Tage mit Durchschnittstemperaturen über 32 Grad bringen wird. Laut einem in der Studie zitierten UN-Bericht könnte ihre Zahl von im Durchschnitt der US-Countys derzeit einem Tag auf 43 im Jahr 2070 zunehmen.

Bei Arbeitnehmern, die ansonsten 50.000 Dollar pro Jahr verdienen würden, könnte ein einziger Tag mit extremer Hitze in ihren ersten 21 Monaten das Einkommen um 50 Dollar verringern. 43 Tage würden dann schon 2.150 Dollar weniger bedeuten. Multipliziert mit der betroffenen Bevölkerung wird schnell eine enorme wirtschaftliche Auswirkung erkennbar. Außerdem würden die Produktivität und Wirtschaftsleistung insgesamt beeinträchtigt, wenn weniger Bürger ihr volles Einkommenspotenzial realisieren.

Hinzu kommt, dass höhere Temperaturen die Wirtschaft auch direkt beeinträchtigen – laut anderen Studien hauptsächlich über weniger menschliche Produktivität und niedrigere Erträge in der Landwirtschaft. Ungebremster Klimawandel könnte das globale Durchschnittseinkommen bis 2100 um 23 Prozent sinken lassen, in den ärmsten Ländern sogar um 75 Prozent, heißt es in einer Studie von Solomon Hsiang, Politik-Professor an der University of California in Berkeley, und anderen Autoren, die 2015 in Nature veröffentlicht wurde. Und dabei sind die verheerenden wirtschaftlichen Folgen von Hurrikans oder steigenden Meeresspiegeln noch nicht berücksichtigt.

"Wir wissen, dass hohe Temperaturen zahlreiche negative Folgen für die aktuelle wirtschaftliche Produktivität haben“, schreibt Hsiang in einer E-Mail an Technology Review. "Die neue Studie zeigt, dass hohe Temperaturen die Gesamtproduktivität noch weit in der Zukunft beeinträchtigen können, indem sie unsere Arbeitskräfte schwächen."

Die gute Nachricht, zumindest für manche Länder und demografische Gruppen, lautet: Nach der Analyse der Census-Daten, die auch die Verbreitung von Klimaanlagen in den einzelnen Countys im Zeitverlauf enthalten, kann Kühlung den beobachteten Effekt fast vollständig verschwinden lassen. Andererseits ist dies nur ein weiterer Beleg dafür, dass steigende globale Temperaturen arme Ländern überproportional stark schädigen werden oder bereits geschädigt haben.

(sma)