Feuer Frei!

Verrückte Welt: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird zur Babyrobbe des deutschen Liberalismus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.

Es gibt Dinge, die sollte man als Journalist nicht tun. Lügen natürlich, sich kaufen lassen, das Publikum beschimpfen - oder Kollegen schelten. Ich weiß das, aber es gibt Tage, da wird meine Geduld heftig auf die Probe gestellt.

Montag war so ein Tag. Wieder einer dieser Tage, an der die Diskussion um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz die Überschriften beherrscht hat. Nachdem Twitter Tweets der Satirezeitschrift "Titanic" aus der Sicht des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) "zensiert" hatte, fordert der Verband nun, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abzuschaffen, berichteten beispielweise die Kollegen aus dem Newsticker und zitierten den DJV-Vorsitzenden Frank Überall mit den Worten: "Mit der Zensur der Satirezeitschrift Titanic durch den Kurznachrichtendienst Twitter haben sich unsere Befürchtungen bestätigt, die wir bereits im Gesetzgebungsverfahren vorgebracht haben.Das NetzDG schiebt die Macht über das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit an Privatunternehmen wie Twitter und Facebook ab."

Nun habe ich auch gelernt, dass man recherchieren sollte. Und eine kurze Recherche hätte auch dem Kollegen Überall eröffnet, dass die Sperrung des Twitter-Accounts der Titanic nichts, aber auch gar nichts, mit dem kritisierten Gesetz zu tun hat. Und auch nichts mit Zensur.

"Angesichts unendlich vieler Kommentare in den digitalen Netzwerken und den etablierten Medien muss man das Gefühl bekommen, das Gesetz sei, unangemessen salopp, aber thematisch passend formuliert, schlimmer als Hitler", schreibt der Medienjournalist Stefan Niggemeier. "Rechte Aktivisten stellen schon seit Monaten jede Löschung oder ihnen nicht sofort erklärliche Erscheinung auf den Plattformen in Zusammenhang mit dem Gesetz. Nun übernehmen ungezählte andere diese Erzählung."

Bedenklich an dieser Entwicklung ist nicht, dass Figuren wie die Abgeordneten der AfD gegen das Gesetz Sturm laufen. Bedenklich ist auch nicht unbedingt, dass die CSU jetzt in Gestalt von Hans-Peter Friedrich schon mal laut darüber nachdenkt, für den Gesetzesentwurf der AfD zu stimmen – das war eh nur eine Frage der Zeit.

Bedenklich finde ich, dass auch viele intelligente und vor allem wohlmeinende Menschen mit äußerst fragwürdigen Argumenten in die Kritik an dem Gesetz einstimmen. Der Twitter-Account von Beatrix von Storch wird so zur Babyrobbe des deutschen Liberalismus: Ein hochemotional aufgeladenes Symbol, das für die eigentliche Debatte völlig untauglich ist.

Die eigentlich spannende Frage in diesem Zusammenhang ist meiner Meinung nach ob und wenn ja welche Verantwortung die Betreiber von sozialen Medien wahrnehmen müssen. Die Diskussion muss geführt werden – aber bitte ohne Schnappatmung und ohne rechtsradikale Hetzer als Bannerträger der Meinungsfreiheit zu glorifizieren.

(wst)