Das Unmögliche ist möglich

Die Abschaffung von alten, aber menschenverachtenden Ritualen ist eine Herausforderung. Nice Nailantei Leng'ete aber zeigt, wie es geht. Die junge Massai kämpft in Kenia erfolgreich gegen die Beschneidung von Mädchen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Inge Wünnenberg

In der Theorie sind sich alle einig, was die Beschneidung von Mädchen betrifft. Neben Menschen- und Frauenrechtsorganisationen verurteilen auch die internationalen Einrichtungen von den Vereinen Nationen bis zur Weltgesundheitsorganisation diese barbarische Tradition. Seit 2011 ist zum Beispiel in Kenia die Genitalverstümmelung bei minderjährigen Mädchen und mittlerweile an Frauen überhaupt gesetzlich verboten. Das mag in der Praxis die Beschneidungen nicht sofort gänzlich unterbinden, ist aber die unbedingte Voraussetzung für die langfristige Abschaffung dieser unmenschlichen Tradition.

Dennoch führen Verbote und Strafen oft eher zu verhärteten Fronten als zu Reformen und Veränderungen. Daher ist es bewundernswert, was die junge Massai Nice Nailantei Leng’ete auf diesem Gebiet erreicht hat. Als Mädchen rannte sie im Alter von acht und neun Jahren zwei Mal vor einer angesetzten Beschneidung davon: "Ich besuchte ein Internat und da waren auch Mädchen aus anderen Gemeinden. Von ihnen wusste ich, dass so eine Beschneidung kein unbedingtes Muss ist", sagt Leng'ete in einem Videobeitrag auf der deutschsprachigen Webseite der unabhängigen afrikanischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Amref Health Afrika.

Dem Mädchen gelang es, sich des Rückhalts ihres Großvaters zu versichern. Gegen einen der Dorfältesten begehrten die anderen Bewohner nicht auf. Trotzdem wurde sie vielfach gemieden und geschnitten. Wie sie etwa in einem aktuellen Artikel in der "New York Times" berichtet, gelang es ihr aber als dem erstem Mädchen aus dem Dorf, eine höhere Schule zu besuchen. Gleichzeitig begann sie, anderen Mädchen zu helfen, sich ebenfalls der Beschneidung zu entziehen.

Nach anfänglichen Zusammenstößen gelang es Leng'ete schon bald, äußerst diplomatisch vorzugehen. Denn sie begriff, dass die Beschneidung der Mädchen als Ritual einen wichtigen Stellenwert in der Kultur ihres Volks einnimmt. Denn bei den Massai markiert sie für die Mädchen den Übertritt ins Erwachsenenalter: Anschließend können sie heiraten und Kinder bekommen.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass Leng'ete für ihr Dorf an einem Amref-Gesundsheitstraining in Kenia teilnahm. Die junge Frau nahm ihre Aufgabe ernst – und nach einigen Anläufen und über mehrere Jahre hinweg gelang es ihr, mit den jungen Männern des Dorfes über Gesundheitsthemen ins Gespräch zu kommen: über die Aids-Prävention oder Teenagerschwangerschaften und deren Risiken. Schließlich wurde auch über die Beschneidung von Mädchen mit all ihren Begleiterscheinungen gesprochen. Leng'etes medizinische Argumente überzeugten am Ende die Männer einen nach dem anderen.

Letztlich überzeugte Leng'ete jedoch nicht nur die jungen Männer ihres Dorfes. Am Ende sagten sich sogar die Dorfältesten – und inzwischen sogar das ganze in Kenia und Tansania ansässige Volk – von einer hunderte Jahre alten Tradition los. Das gelang aber auch deshalb, weil stattdessen eine neue Zeremonie für den Übertritt der Mädchen ins Erwachsenenalter im Rahmen großer Feste geschaffen wurde: "Nur die Beschneidung ist falsch", sagt Leng'ete, "alles andere – traditionelle Kleider, Segenswünsche und Tänze – ist wunderbar." Inzwischen arbeitet die junge Massai längst für Amref und organisiert die neuen zeremoniellen Feste. Laut "New York Times" hat sie inzwischen bereits 50.000 Mädchen vor einer Beschneidung gerettet: Wenn das keine Erfolgsstory ist! (inwu)