Kernfusion ab morgen früh, 7:30 Uhr

Das MIT plant einen Fusionsreaktor, der schon in 15 Jahren ans Netz gehen soll. Eine Ankündigung in guter alter Tradition.

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Von
  • Anton Weste

Das Fusionskraftwerk will das MIT gemeinsam mit dem neu gegründeten Unternehmen Commonwealth Fusion Systems entwickeln. Die Zielvorgabe von 15 Jahren bis zur Fertigstellung ist ambitioniert.

Kernfusionsreaktoren und Ankündigungen haben eine lange Geschichte. Seit den Fünfziger Jahren heißt es, dass wir von nutzbarer Fusionsenergie 30, 40 Jahre entfernt sind – ganz gleich, wann die Prognose getroffen wurde. Jede dieser Vorhersagen wurde gerissen. Das Phänomen ist so auffällig und hartnäckig, das Physiker darüber als „Fusionskonstante“ spotten. Chuck Norris baut einen Fusionsreaktor. Kostenlosen Strom gibt‘s ab morgen früh, 7:30 Uhr.

Die Gründe für die zu optimistischen Prognosen sind vielfältig: Schließlich dauerte es von der unkontrollierten Nutzung der Kernspaltung in Form von Atombomben 1945 bis zum ersten Kernkraftwerk nur neun Jahre. Angesichts der ersten Fusionssprengsätze in Form der Wasserstoffbomben Anfang der Fünfziger konnte man erwarten, dass auch Fusionsreaktoren so langsam in die Gänge kämen. Auf der anderen Seite standen jedoch unterschätzte Anforderungen zur stabilen Erzeugung des 100 Millionen Grad heißen Plasmas, das eine Kernfusion erst ermöglicht. Und nicht zuletzt verzögerten politische Wetterlagen den Bau von Anlagen wie etwa dem multinationalen Großprojekt ITER in Südfrankreich.

Skepsis bei neuen Ankündigungen zur Fusionsenergie scheint also angebracht. Das Versprechen dieser sauberen, schier unbegrenzten Energiequelle ist jedoch trotz aller Enttäuschungen so groß, dass immer neue Projekte für Kernfusionsreaktoren starten – und mit ihnen die Vorhersagen. So verkündete etwa das Rüstungsunternehmen Lockheed Martin im Oktober 2014, an einem kleinen Fusionsreaktor zu arbeiten. In nur fünf Jahren könne man einen ersten Prototyp mit einigen Hundert Megawatt Leistung vorweisen, der "auf die Ladefläche eines Trucks" passe. Seitdem ist es ziemlich still darum geworden.

Einblick bei Tri Alpha Energy (6 Bilder)

Einblick in den röhrenförmigen Reaktor von Tri Alpha: Zwei heiße Plasma-Ringe sollen mit bis zu 250 Kilometern pro Sekunde aufeinander zugeschossen werden. (Bild: Julian Berman)

Also einfach in Ruhe forschen und keine Prognosen mehr machen? It‘s done, when it‘s done? So funktioniert die Forschung nicht. Projekte brauchen Zielvorgaben. Geldgeber wollen das beruhigende Gefühl haben, dass aus ihrer Investition auch ein Nutzen entsteht.

Und tatsächlich sollte das scheinbar endlose Warten auf die Erlösung durch Kernfusion nicht darüber hinweg täuschen, dass die Technologie derzeit große Fortschritte erzielt. Im Windschatten von ITER probieren sich Start-ups wie das kalifornische Tri Alpha Energy und Tokamak Energy an kleineren Versuchsreaktoren. Neue Materialien aus der Halbleiterforschung verbessern die Chancen auf eine Beherrschung des Plasmas. Wieder ein paar Vorhersagen nennen 2030, 2035.

Ich gewöhne mich daran, dass die Fusionskonstante anscheinend auf 15 Jahre schrumpft. Das klingt doch gar nicht so schlecht.

Um nicht zu viel Mut aufbringen zu müssen, sage ich nur: Ich werde den ersten nutzbaren Kernfusionsreaktor noch selbst erleben. Dann werde ich zumindest die Häme nicht mehr hören. Falls ich doch falsch liege.

(anwe)