Kampf dem Bargeld

Handel und Finanzdienstleister suchen nach Alternativen zur lästigen Bargeldzahlung. Doch was wird stattdessen das Rennen machen - funkende Kreditkarten oder spendierfreudige Handys?

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Von
  • Christian Buck

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 09/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie ältere Ausgaben, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Handel und Finanzdienstleister suchen nach Alternativen zur lästigen Bargeldzahlung. Doch was wird stattdessen das Rennen machen – funkende Kreditkarten oder spendierfreudige Handys?

An der Kasse des "real Future Store" ziehen die Kunden statt ihres Geldbeutels seit Neuestem oft das Handy aus der Tasche. Dort, im nordrhein-westfälischen Tönisvorst, erprobt die Metro-Gruppe innovative Bezahlverfahren. Seit Ende Mai können alle Kunden unter anderem mit speziellen Mobiltelefonen einkaufen, Bargeld und Karten sind also überflüssig. Das Metro-Projekt ist Teil eines "War on Cash", bei dem Handel, Banken und Kreditkartenunternehmen gemeinsam gegen das Bargeld ins Feld ziehen. Jede Partei hat dabei ihre eigenen Gründe, nach Alternativen zu Münzen und Scheinen zu suchen: Für Händler und Banken ist Bargeld teuer, weil es aufwendig geprüft, gezählt und transportiert werden muss. Nach einer Studie der belgischen Zentralbank summiert sich dieser Aufwand in Belgien auf 0,58 Prozent des Bruttoinlandproduktes – vergleichbare Zahlen für Deutschland existieren nicht. Für Kreditkartengesellschaften wiederum ist das Bezahlen von Kleinbeträgen ein gewaltiger, weitgehend unerschlossener Markt. Nach einer McKinsey-Untersuchung wurden 2006 rund 80 Prozent aller Einkäufe im deutschen Einzelhandel mit Cash beglichen.

So unterschiedlich die Motive der Beteiligten auch sind – ein Kürzel eint die Bemühungen im Kampf gegen das Bargeld: NFC. Die drei Buchstaben stehen für "Near Field Communication", ein Kurzstrecken-Funkverfahren, das Grundlage ist für ein ganzes Bündel neuer Zahlsysteme. Auf NFC basiert beispielsweise das Handy-Payment in Tönisvorst. Das Projekt startete Mitte 2008, als 100 Testkunden mit speziellen Nokia-Handys ausgestattet wurden, in denen NFC-Chips integriert waren. Seit Ende Mai 2009 ist das Verfahren für alle Kunden geöffnet. Entsprechende Geräte mit NFC-Chip gibt es bereits zu kaufen – zum Beispiel das Nokia 6212 classic NFC. Seitdem können Kunden Einkäufe im Wert von maximal 200 Euro mit ihrem Mobiltelefon bezahlen. Dazu müssen sie an der Kasse das Handy an ein Terminal halten, woraufhin auf dem Handy-Display die Option "Mit NFC zahlen" erscheint. Dann muss der Kunde auf seinem Telefon eine vierstellige PIN eingeben, um den Vorgang zu bestätigen. Der Betrag wird später vom Konto abgebucht.

Auch die Kreditkarten-Gesellschaften setzen bei ihren neuen Zahlverfahren für Kleinbeträge auf NFC. "PayPass" heißt das Angebot von Mastercard, "payWave" das von Visa. Beide lassen sich sogar einfacher als NFC-Handys handhaben: Der Kunde muss seine Karte einfach an ein Lesegerät neben der Kasse halten, das Terminal gibt einen Bestätigungston, und schon ist die Ware bezahlt. Unterschrift oder PIN sind nicht mehr nötig. Auch hier wird der Betrag später abgebucht. Das System funktioniert weltweit, ohne dass der Kunde Währungen tauschen muss.

NFC wurde 2002 von NXP Semiconductors (der ehemaligen Halbleitersparte von Philips) und Sony entwickelt. Die nötige Hardware besteht bei den Kreditkarten aus zwei Komponenten: Eine in die Karte integrierte Antenne dient der Kommunikation mit dem Leseterminal und versorgt die Karte auch mit Energie aus dem elektromagnetischen Feld, das vom Lesegerät erzeugt wird. Die eigentliche Intelligenz steckt in einem Computerchip, der bereits in vielen Kredit- und EC-Karten vorhanden ist. Gesendet wird auf einer Frequenz von 13,56 Megahertz mit einer maximalen Datenrate von 424 Kilobit pro Sekunde.

Die Reichweite von NFC ist auf rund zehn Zentimeter begrenzt, was für die neuen Bezahlverfahren ein klarer Vorteil ist: Je kürzer die Reichweite, desto schwerer können sich Datenpiraten unbemerkt in die Kommunikation einklinken. Aus Sicherheitsgründen begrenzt ist auch der Betrag, der berührungslos beglichen werden kann: Bei PayPass beträgt er 25 Euro, payWave gestattet 25 Dollar in den USA und 15 bis 20 Euro in Europa – je nach Land. Das klingt nach wenig, deckt aber die meisten Bezahlvorgänge ab. "80 Prozent aller Zahlungen, die mit Bargeld geleistet werden, liegen im Bereich unterhalb von 20 Euro", sagt Charlotte Desbons, die bei Visa für die Markteinführung von payWave zuständig ist.

Ein niedriges Limit ist nötig, um die Schäden durch Missbrauch zu begrenzen – denn die neuen Bezahlverfahren arbeiten offline: Das Terminal des Händlers nimmt beim Bezahlen keinen Kontakt zu einem Zentralrechner auf, sodass keine Möglichkeit besteht, online zu überprüfen, ob die Karte gesperrt oder gestohlen ist. Dieser relativ laxe Umgang mit der Sicherheit macht einen Großteil des Charmes der neuen Bezahlverfahren aus, denn er senkt die Kommunikationskosten der Händler und spart außerdem noch viel Zeit an der Kasse. Und falls tatsächlich einmal eine gestohlene Karte verwendet wird, übernimmt die ausgebende Bank den Schaden. Für Händler und Kunden besteht also kein Risiko.

Selbst wenn ein Dieb mit einer gestohlenen Karte auf Einkaufstour gehen sollte: Ein Zähler auf dem Karten-Chip registriert jeden Bezahlvorgang, und nach einer zuvor festgelegten Maximalzahl muss über eine Online-Abfrage bei der ausgebenden Bank überprüft werden, ob mit der Karte alles in Ordnung ist. Wie viele Offline-Einkäufe mit der Karte maximal möglich sind, entscheidet wiederum die ausgebende Bank.

Die Funkkommunikation selbst ist nach den Aussagen der Kartenverfechter sicher: Neben der kurzen Reichweite des NFC-Verfahrens sorge auch die eingebaute Verschlüsselung der Daten dafür, dass der Informationsaustausch zwischen Karte und Kasse nicht abgehört oder manipuliert werden könne. Bleibt noch die Möglichkeit, mit einem tragbaren Terminal – quasi im Vorbeigehen – das virtuelle Geld kontaktlos zu rauben. Auch hier beruhigen die Unternehmen: "Betrug ist nicht möglich, denn jeder Betreiber eines Terminals muss ein Konto bei einer Händlerbank haben", sagt Christian Wagner, Senior Manager beim Kreditkartenanbieter Mastercard. "Diese Bank überprüft die Transaktionen und verhindert die Auszahlung des Geldes, wenn Unregelmäßigkeiten auftreten."

Seit 2003 ist PayPass in den USA auf dem Markt, und rund um den Globus können Kunden an 146000 Akzeptanzstellen damit bezahlen. Seine Deutschland-Premiere hatte das Bezahlverfahren vor zwei Jahren: Die Lufthansa bietet seit 2007 Miles & More-Karten mit Kreditkartenfunktion an, in die auch PayPass integriert ist. Visa ist mit payWave seit 2007 in den USA aktiv und hat das Produkt gemeinsam mit der Landesbank Berlin schon auf dem deutschen Markt getestet. Wann payWave für deutsche Kunden zur Verfügung stehen wird, verrät das Unternehmen allerdings genauso wenig wie die Nutzerzahlen in den USA. Wer sich das Visa-System in Europa live anschauen möchte, muss bis auf Weiteres in die Türkei, die Schweiz, nach Italien, Großbritannien oder Polen fahren. Für einen Blick auf PayPass reicht schon ein Trip zu den Flughäfen Frankfurt oder Berlin. An insgesamt rund 40 PayPass-Terminals an Automaten oder Imbissständen können Reisende dort drahtlos mit ihrer Karte bezahlen.

Alternativ tut es auch ein Besuch der Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart. Seit einigen Monaten können sich Fans dort bargeld- und kontaktlos mit Bier und Würstchen eindecken. Die mehr als 200 Verpflegungsstationen des Stadions akzeptieren neben Münzen und Geldscheinen jetzt auch das kontaktlose Bezahlverfahren. Die "multifunktionale Fankarte" gibt es entweder als Prepaid- oder als klassische Kreditkarte. Derzeit sind dort rund 5000 Karten im Umlauf. Und 2010 soll das PayPass-System auch an allen 465 Tankstellen der Marke "star" einsatzbereit sein.

Die Beispiele zeigen, in welchen Situationen die neuen Systeme ihre Vorzüge am ehesten ausspielen können: überall dort, wo es schnell gehen muss – weil das Flugzeug gleich startet oder möglichst viele Fans in der 15-minütigen Halbzeitpause verköstigt werden sollen. "Die Kunden können nur überzeugt werden, wenn sie einen klaren Vorteil erkennen", sagt Hugo Godschalk, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft PaySys. Die neuen kontaktlosen Karten bräuchten für einen Bezahlvorgang nur 300 bis 600 Millisekunden.

"Das ist schwer zu schlagen", bestätigt Frank Patt von der Unternehmensberatung Dr. Thede Consulting. Für Verkaufsautomaten ist die Technologie aus seiner Sicht ebenfalls höchst interessant: Die NFC-Funktechnologie sei billig und robust gegen Vandalismus, weil es keine Schlitze gibt, in die der Kunde etwas einführen muss.

Ob diese Vorteile ausreichen, die NFC-Karten zum Selbstläufer zu machen, ist fraglich. Denn schließlich dümpelt ein vergleichbares Zahlverfahren schon seit Jahren vor sich hin: die Geldkarte. "Sie ist nur in Nischen erfolgreich", sagt Godschalk, "etwa in Parkhäusern oder im öffentlichen Nahverkehr. An Verkaufsstellen, die von Menschen besetzt sind, konnte sie sich nicht durchsetzen." Dabei funktioniert die Geldkarte zwar nicht berührungslos, ist aber ebenfalls schnell, unkompliziert, preiswert und dazu noch sehr weit verbreitet – allein in Deutschland sind nach Angabe der "Initiative Geldkarte" rund 74 Millionen Karten mit Geldchip im Umlauf. Von PayPass existieren derzeit hingegen nur 55 Millionen Karten – weltweit.

Woher nimmt die Kreditkarten-Branche also die Hoffnung, dass die NFC-Karten besser ankommen werden als die Geldkarte? "PayPass ist von vornherein als ein internationaler Standard entwickelt worden", sagt Mastercard-Manager Wagner. "Das ist ein wichtiger Unterschied gegenüber Systemen, die lediglich national existieren und deren Akzeptanz daher von vornherein begrenzt ist."

Um ihre Zahlverfahren einzuführen, müssen die Anbieter das klassische Henne-Ei-Dilemma überwinden: Solange die Karten nicht weit verbreitet sind, werden die Händler kaum in die neue Technik investieren wollen. Und solange es nicht genug Terminals fürs kontaktlose Bezahlen gibt, ist den Kunden der Nutzen nur schwer zu vermitteln. "Die Markteinführung kann nur über einzelne Inselprojekte gelingen, wie beispielsweise im Stuttgarter Stadion", glaubt Unternehmensberater Patt. Er prognostiziert, dass kontaktlose Bezahlverfahren im Jahr 2015 flächendeckend verfügbar sein werden. Das hat auch etwas mit den Zyklen des Kreditkartengewerbes zu tun:

Die Karten werden alle vier Jahre ausgetauscht, die Terminals ungefähr alle fünf Jahre. "Daraus ergibt sich, dass jedes kartenherausgebende Institut und jede Händlerbank die Umstellung in vier bis fünf Jahren abgeschlossen haben kann, nachdem die Entscheidung dafür gefallen ist", so Patt. Bis dahin werden die NFC-Karten allerdings noch mehr Konkurrenz vom Handy bekommen. "Je nach Altersgruppe können sich zwischen ein und zwei Drittel der Menschen ein Leben ohne ihr Mobiltelefon heute gar nicht mehr vorstellen – warum man damit nicht schon längst bezahlen kann, verstehen sie nicht", argumentiert Key Pousttchi von der Uni Augsburg.

Ob die Kunden tatsächlich massenhaft vom Bargeld auf kontaktlose Karten oder NFC-Handys umsteigen werden, ist aber keine ausschließlich technische Frage – auch der Datenschutz ist hier ein sensibles Thema. Denn Bargeld ist anonym, während sich bei Kartenzahlung im Prinzip immer feststellen ließe, wer was wann gekauft hat. Mit dem Abschied von Münzen und Banknoten kämen wir dem gläsernen Bürger also wieder einen Schritt näher. Schon heute lassen sich unsere Vorlieben und unsere Aktivitäten aus unseren Spuren im Internet oder den Mobilfunknetzen rekonstruieren. Würde das Bargeld komplett aus unserem Leben verschwinden, wäre dies noch mehr möglich. Außerdem dürfte es auch in Zukunft noch genug Situationen geben, in denen Bargeld schlicht die praktischere Alternative bleibt. "Rund die Hälfte aller Transaktionen findet direkt zwischen Personen statt, etwa wenn Eltern ihren Kindern Taschengeld geben", so Experte Godschalk. "Hier wird Bargeld auch in Zukunft seine Berechtigung haben." Es sei denn, die Kids der Zukunft stellen Terminals in ihren Kinderzimmern auf, wo Mama oder Papa regelmäßig ihren Obolus leisten müssen. (bsc)