Bitcoin ist zu groß für China

Kryptowährungen stellen das autoritäre Regime vor dasselbe Dilemma wie zuvor das Internet selbst: Sie sind zu beliebt und die Vorteile zu groß, als dass ein Land ganz darauf verzichten könnte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Emily Parker
Inhaltsverzeichnis

Dass Bobby Lee, CEO der ältesten Bitcoin-Börse Chinas, ins Visier der Behörden geraten würde, war nur eine Frage der Zeit. Seine Börse BTCC hatte in einem Graubereich des chinesischen Rechts operiert, war also weder offiziell zugelassen noch explizit verboten. Doch die rapide zunehmende Popularität der dezentralen Digitalwährung machte die Regierung nervös. Im Januar 2017 leitete die chinesische Zentralbank eine Untersuchung gegen BTCC ein. Im September verbot die Regierung zunächst Initial Coin Offerings (ICO), eine beliebte Finanzierungsmethode für Start-ups, bei der sie virtuelle Münzen für die spätere Nutzung ihrer Produkte verkaufen.

Selbst da wähnte sich Lee weiterhin in Sicherheit. Schließlich hatten die Behörden die neue Technologie lange Zeit zurückhaltend freundlich behandelt. Doch noch im selben Monat machten chinesische Behörden klar, dass BTCC und andere inländische Handelsplätze für virtuelle Währungen schließen müssen – für die breite Öffentlichkeit sollte es schwieriger werden, Bitcoins zu kaufen. Lee war nach eigenen Worten nicht geschockt, sondern lediglich enttäuscht: "Ah, jetzt ist die Party zu Ende", habe er gedacht. "Irgendwann musste sie ja aufhören."

Mehr Infos

Bitcoin erreichte die Welt ungefähr zur Zeit der großen Finanzkrise 2008. Seitdem hat die Währung enorm an Beliebtheit gewonnen – vor allem bei Spekulanten, die den Wert zwischenzeitlich bis auf 20000 Dollar getrieben haben. Für Regierungen ist das ein Problem: Sollen sie diese neue Art von Währung erlauben, obwohl sie es einfacher macht, Geld relativ anonym zu überweisen, was besonders attraktiv für Geldwäscher und andere Kriminelle ist? Gehört sie verboten, um die volle Kontrolle über die Geldpolitik zu behalten? Oder sollten Staaten sie sogar aktiv unterstützen, wie etwa Japan, das Bitcoin als offizielle Zahlungsmethode anerkannt hat?

Für China ist Bitcoin eine ähnliche Herausforderung wie zuvor das Internet selbst. Anfangs stand die Regierung dem Web misstrauisch gegenüber, weil es bedeutete, einen Teil der Kontrolle über die Bürger abzugeben. Letztlich aber sah die Regierung die größeren Nachteile darin, das Internet ganz auszusperren. Denn dieser Schritt hätte China von der Weltwirtschaft abgeschnitten. Anschließend war das Land überraschend erfolgreich darin, mit einer Armee von Zensoren das Internet zu zähmen und mit seiner "Großen Firewall" Seiten wie Facebook und Twitter zu blockieren. Trotzdem florierten Online-Communitys und E-Commerce weiterhin. China mehrte seinen Ruf, eigent-lich unkontrollierbare Dinge kontrollieren zu können. Nun machte sich die Regierung daran, diese Kontrolle auch beim virtuellen Geld auszuüben, dessen dezentraler Charakter es eigentlich unmöglich machen sollte, dass ein einzelner Staat es abschaltet. Chinas Durchgreifen hat diese grundlegende Überzeugung infrage gestellt und sorgte kurzzeitig für einen Kurseinbruch.

Für Bitcoin sind all das keine guten Nachrichten, sollte man meinen. Trotzdem zeigte sich einige Wochen nach dem Einschreiten der Regierung fast jeder in der chinesischen Kryptowährungs-Community auffallend gelassen. Zum Beispiel Lu Bin, CEO des Blockchain-Start-ups Andui. Ende August 2017 hatte er mit einem ICO innerhalb weniger Stunden mehr als 20 Millionen Dollar eingenommen. Im Monat darauf aber folgte das ICO-Verbot, und er musste das gesamte Geld zurückgeben.

Trotzdem hat er Verständnis für den Schritt – er schütze durchschnittliche Investoren vor Betrug. Auch alle anderen Mitglieder der Community, mit denen ich sprach, unterstützten oder billigten das ICO-Verbot. 90 Prozent der chinesischen ICOs seien Betrug, wurde mir gesagt. Lu rechnet damit, dass sich die Lage wieder entspannen werde – beispielsweise mit einer staatlich betriebenen Börse.

Zeitweise wurden in China mehr Bitcoin-Wallets heruntergeladen als in der gesamten restlichen Welt zusammen. Es ist einfach zu verstehen, warum Bitcoin dort für so viele Menschen attraktiv ist. Im stark regulierten Finanzsystem sind Bitcoins einige der wenigen Investitionsmöglichkeiten. Die Börse in Shanghai kommt seit Jahren kaum voran, und Immobilien sind für die meisten Leute unerschwinglich. Schon Mitte 2013 bewegten chinesische Börsen täglich Bitcoins im Wert von rund 35 Millionen Dollar.

Dieses Spekulationsfieber drohte außer Kontrolle zu geraten. Peking sorgte sich, dass zu viel der Landeswährung Yuan indirekt ins Ausland abfließen könnte. Anfang Januar unternahm die Regierung deshalb den nächsten Angriff auf die Kryptowährung: Nach einem Bericht der chinesischen Tageszeitung "China Daily" wollen die Behörden Bitcoin-Miner zu einem geordneten Ausstieg aus der Erzeugung von Kryptowährungen drängen. Derzeit kommen rund zwei Drittel der weltweiten Mining-Leistung aus China.