Die Aushilfsroboter

Das Rennen zwischen Mensch und Maschine wird erbarmungsloser: Amazon beschleunigt den Trommeltakt auf der Logistikgaleere.

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Von
  • Peter Glaser

Amazon hat den Entwurf eines Armbands zum Patent angemeldet, das an verschiedenen Punkten vibrieren kann, um die Hand eines Mitarbeiters, der in einem Verteilzentrum Waren zusammensucht, in die richtige Richtung zu lenken. Was damit neben der Abwicklung von Bestellungen ebenfalls an Geschwindigkeit zulegt, ist das Hase-und-Igel-Rennen zwischen Mensch und Maschine.

Wenn jemand etwas bei Amazon bestellt, landet das auf einem der Handhelds, mit denen alle Mitarbeiter ausgestattet sind. Dann muß der "Picker" die Ware so schnellstmöglich aus dem richtigen Regal pflücken, sie in eine Versandbox legen und sich auf die Suchen nach der nächsten Order machen. Die patentierten Armbänder arbeiten mit Ultraschall, um die Position der Picker-Hand bei der Produktsuche genau zu orten. Menschliche Arbeiter können so noch mehr Waren auf den Weg bringen als bisher – bis Roboter geschickt genug sind, sie alle zu ersetzen.

Der griechische Philosoph Aristoteles stellte sich als eine Utopie vor, dass jeder Mensch einmal in der Lage sein könnte, sein Potenzial zu verwirklichen und alle seine Fähigkeiten voll auszunutzen – das aristotelische Prinzip. Er sah eine Welt, in der technologischer Fortschritt die menschliche Arbeit überflüssig machen würde und erinnerte sich an die mythischen Handwerker Daedalus, den Vater des Ikarus, und Hephaistos, den Schmied.

Beide bauten bereits funktionierende Roboter: "Wenn jedes Werkzeug auf Anweisung seine eigene Arbeit ausführen könnte", so Aristoteles, "oder wenn es schon vorher sehen würde, was zu tun ist, so wie die lebensechten Statuen des Daedalus oder die automatischen Dreifüße des Hephaistos... wenn Weberschiffchen so weben könnten und Plektren Harfen von sich aus spielen, hätten die Meister keinen Bedarf an Helfern und anderen Meistern mehr und sie brauchten auch keine Sklaven."

Bei den Automaten des Hephaistos handelt es sich um programmgelenkte, autonom fahrende Stative, dem Dichter Homer zufolge "mit goldenen Rädern, um automatisch zur Zusammenkunft der Götter fahren und danach wieder allein nach Hause zurückkehren zu können". Es klingt fast, als würde Aristoteles moderne Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz beschreiben.

In seinem monumentalen Werk Der Mythos der Maschine griff der amerikanische Kulturforscher Lewis Mumford Ende der Sechzigerjahre zu einem drastischen Vergleich – die Utopie begann sich in eine Dystopie zu verwandeln: "Obwohl die Automation schon seit längerem stetig an Boden gewinnt, ist seltsamerweise erst in jüngster Zeit das Problem aufgetaucht, welche Bedeutung es hätte, wenn der Großteil des menschlichen Arbeitslebens ausradiert würde. Auch heute erkennen nur wenige, dass dieses Problem, einmal ehrlich ausgesprochen, das Endziel der Automation ernsthaft in Frage stellt. Was die mögliche Schaffung einer vollautomatisierten Welt betrifft, so können nur Ahnungslose ein solches Ziel als den höchsten Gipfel menschlicher Entwicklung ansehen. Es wäre eine Endlösung der Menschheitsprobleme nur in dem Sinne, in dem Hitlers Vernichtungsprogramm eine Endlösung des Judenproblems war."

"Utopien", schrieb der russische Philosoph Nikolaj Berdjajew, "scheinen heute viel eher realisierbar zu sein als früher. Aber wir stehen vor einer viel drängenderen Frage: Wie sollen wir ihre Verwirklichung verhindern Wie können wir zu einer nichtutopischen, einer weniger vollkommenen, aber freieren Gesellschaft zurückkehren?"

(bsc)