Der Countdown läuft

Rule Britannia: Die britische Regierung will in Schottland einen Raumhafen bauen.

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Hektik, Stress, Lärm, schlechte Luft – stellen Sie sich vor, Sie könnten all dem entfliehen. Irgendein Großonkel aus einem lange vergessenen Familienzweig hat Ihnen ein Häuschen an der schottischen Nordküste vermacht. In irgendeinem 200-Seelen-Dorf an der Küste, wo jeder jeden kennt. Wäre das nicht traumhaft? Und dann wachen Sie eines Morgens auf und lesen in der Zeitung, dass die Regierung ausgerechnet an dieser gottverlassenen Küste einen Raumhafen bauen will.

Klingt total unglaubwürdig? Ist aber wahr – zumindest was den Part mit dem Raumhafen angeht: Die britische Regierung hat angekündigt, dass in Sutherland an der schottischen Nordküste eine Abschussbasis für Mikrosatelliten errichtet werden soll. Die ersten Raketen könnten "in den 2020er" starten, heißt es.

Bereits in drei Jahren soll zudem in Newquay in Cornwall ein Flugplatz für "horizontale Starts" in Betrieb gehen. Virgin Orbit, eine Tochterfirma der Virgin Group, will dort umgebaute 747-400-Jets starten lassen, unter deren Flügel Raketen montiert sind. Die Raketen sollen in rund 11.000 Metern Höhe gestartet werden, und ebenfalls Mikrosatelliten ins All bringen.

Eigentlich sollten Abschussrampen für Raketen möglichst nahe am Äquator liegen, um die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde am besten nutzen zu können. Blöderweise ist die Auswahl an solchen Plätzen begrenzt. Zumindest ökonomisch sind die Standorte der Briten aber geschickt gewählt, denn weder in Cornwall noch in Schottland sind viele Jobs zu haben. Laut dem Guardian ist die Lage in Sutherland so ernst, dass manche Leute dort sogar die Schließung des Forschungsreaktors als ökonomischen Rückschlag bedauern - und dass ist immerhin eine der schmutzigsten nuklearen Anlagen der Welt. Nun soll die weitere Planung und Vorbereitung des Raumhafens in Sutherland zumindest erst mal bis zu 40 Jobs schaffen.

40 Jobs? Ein Raumhafen im Niemandsland an der schottischen Nordküste? Was auf den ersten Blick ziemlich spleenig wirkt, könnte sich mittelfristig als recht wertvolle Investition erweisen, denn das Geschäft mit den Mini- und Mikrosatelliten ist längst dabei, abzuheben. Planet Labs beispielsweise, ein Unternehmen, das 2010 von drei Nasa-Aussteigern buchstäblich in einer Garage gestartet wurde, hat heute schon über 200 Mini-Satelliten im All, mit denen sie die komplette Landmasse der Erde "tagesaktuell" abscannen können. Damit lassen sich Waldbrände genauso aufspüren wie illegale Abholzungen, Sklavenhandel, illegale Fischzüge, Überflutungen und Flüchtlingstrecks.

Mehr als 6200 kleine Satelliten, so Schätzungen des auf Raumfahrt spezialisierten Beratungsunternehmens Euroconsult, könnten in den nächsten zehn Jahren gestartet werden. Ein Markt von mehr als 30 Milliarden Dollar. Vielleicht ist das mit dem Raumhafen doch keine so spleenige Idee - immer vorausgesetzt, die Schotten erklären nicht doch noch ihre Unabhängigkeit. Aber das wäre ja ein vollkommen utopischer Gedanke, oder?

(wst)