Die Jagd nach dem Dampf

Rund 200 fahrbereite Dampflokomotiven sind allein in Deutschland noch bei Touristen- und Museumsbahnen im Einsatz. Dass die gewohnten Regeln der Bildgestaltung in der Eisenbahnfotografie ebenso funktionieren, diese dabei aber besondere Ansprüche hat, zeigt der Eisenbahnfotograf Olaf Haensch in unserem Workshop.

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Lesezeit: 24 Min.
Von
  • Olaf Haensch
Inhaltsverzeichnis

Eigentlich sind die aufgeplusterten Gebilde aus Milliarden Wassertröpfchen die Ziele meiner fotografischen Ambitionen. Von Dampflokomotiven erzeugt und bei kaltem Wetter oder hoher Luftfeuchtigkeit über den Schienensträngen kondensiert, erscheinen die prächtigen weißen oder grau melierten Dampfwolken je nach Lichteinfall, Witterung, Anstrengung der Maschine und Tätigkeit des Heizers immer anders. Der Dampf fasziniert und ist in dieser unvorhersehbar wechselhaften Erscheinung Grund genug, die nostalgischen Ungetüme fotografisch einzufangen. Als anachronistische Technik üben Dampflokomotiven mit ihren vielen Speichenrädern, dem komplizierten Gestänge und dem gewaltigen Kessel ohnehin eine erhebliche Faszination auf Groß und Klein aus.

Bis heute sind die fauchenden Ungetüme noch vielerorts zu beobachten. Es mag verwundern, dass im weltweiten Vergleich der fahrplanmäßigen Dampfzugleistungen seit einiger Zeit ausgerechnet Deutschland die Spitzenposition inne hat. Nicht im normalen Zugverkehr der Deutschen Bahn, versteht sich. Vielmehr sind es vor allem die mit Dampflokomotiven betriebenen Touristenbahnen zwischen Ostsee und Erzgebirge, welche diese Spitzenleistung erbringen. Gut 600.000 Fahrgäste werden pro Jahr allein auf der meterspurigen Brockenbahn gezählt, welche damit hierzulande statistisch zu den beliebtesten Touristenattraktionen zählt. Bei Dampflokfotografen steht diese bis auf 1125 Meter über dem Meeresspiegel ansteigende Strecke ebenfalls hoch im Kurs, besonders im Winter. Da der Harz nicht weit von meinem Elternhaus liegt und mir seit der Kindheit vertraut ist, überrascht es sicher nicht, dass er für mich einen fotografischen Schwerpunkt darstellt.

Natürlich ist die moderne Bahn bei vielen Eisenbahnfotografen ebenso beliebt. Die Vielfalt der Fahrzeuge war nie größer und bietet reichlich Motive. Auch das Treiben auf Großstadtbahnhöfen ist ein fotografischer Anziehungspunkt. Mit der Bahnreform veränderte sich jedoch das Erscheinungsbild der Eisenbahn im letzten Vierteljahrhundert aus meiner Sicht insgesamt zum Negativen. Selbstverständlich richtet die Deutsche Bahn ihr Handeln nicht nach den Idealen von Eisenbahnfotografen, doch sind etwa verwaiste Bahnhöfe, auf denen winzige Wartehäuschen einst stolze und heute zu Ruinen verfallene Empfangsgebäude ersetzen, tendenziell unattraktiv. Eisenbahnfotografen sind gewissermaßen zur Ausblendfotografie gezwungen, wollen sie sich nicht bewusst mit einer solchen Endzeitstimmung befassen – für mich ist das ein weiterer Grund, meine fotografische Aufmerksamkeit Dampfzügen zu widmen.