Klassiker neu gelesen: Future Shock

"Future Shock" beklagte schon in den Sechzigern die Orientierungslosigkeit und Reizüberflutung der Moderne.

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Neuheiten prasseln von allen Seiten auf uns ein, Beziehungen werden immer flüchtiger, Orientierungslosigkeit und Reizüberflutung machen sich breit. Kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder: Jede Generation seit dem Mittelalter dürfte ihre Zeit für die schnelllebigste aller Zeiten gehalten haben.

So ging es auch dem US-Journalisten, Unternehmensberater und Zukunftsforscher Alvin Toffler (1928–2016), als er in den Sechzigern seinen Bestseller „Future Shock“ recherchierte. Der Titel ist eine Anlehnung an den Kulturschock durch zu viele neue Eindrücke in einem fremden Land. Allerdings gebe es beim Zukunftsschock keinen sicheren Rückzugsort mehr. Dadurch werde der Mensch krank, apathisch oder radikal – und die Gesellschaft unregierbar.

Die späten Sechziger waren in der Tat bewegte Zeiten. Aber radikaler als etwa die industrielle Revolution? Oder als die Gegenwart in Sachen Informationsüberflutung?

Trotzdem hatte Toffler offenbar einen Nerv getroffen: Bis heute wurde „Future Shock“ sechs Millionen Mal verkauft, in Dutzende Sprachen übersetzt und mit Orson Welles verfilmt. Das machte Toffler zu einem der einflussreichsten Denker seiner Generation. Aus heutiger Sicht erscheint die damalige Aufgeregtheit etwas übertrieben – vielleicht auch deshalb, weil viele seiner Vorhersagen heute Alltag sind.

Zwischendurch stößt der Leser aber immer wieder auf Sätze beeindruckender Aktualität. Zum Beispiel bei der Beschreibung der Mechanismen, mit denen Menschen sich die moderne Welt vom Leibe halten: Der Spezialist verschanzt sich in sein eng abgetrenntes Fachgebiet, der Leugner lässt Änderungen gar nicht erst an sich heran, der Revisionist sucht neue Probleme mit alten Methoden zu lösen, der Nostalgiker will eine längst verschwundene Welt wiederherstellen, der Super-Vereinfacher weiß auf jede noch so komplexe Frage eine schlichte Antwort.

Kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder: Die Schwäche des Buches ist gleichzeitig auch seine Stärke: Gerade weil der Wandel nicht, wie von Toffler behauptet, in den Sechzigern eine außergewöhnliche Beschleunigung erfahren hat, ist seine Beschreibung allgemeingültig – und damit heute noch lesenswert.

Alvin Toffler: "Future Shock", Bantam Books, 576 Seiten; deutsch: "Der Zukunftsschock"; 1. Auflage 1970

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(anwe)