Smart Cities: Anspruch und Wirklichkeit

Zwischen Vision und Realität klafft bei Smart Cities oft eine gewaltige Kluft. Drei berühmte Beispiele zeigen, warum.

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Smart Cities: Anspruch und Wirklichkeit

(Bild: Philip Lange / Shutterstock)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Eva Wolfangel
Inhaltsverzeichnis

Vision: Die Planer, darunter der britische Stararchitekt Sir Norman Foster, entwarfen am Reißbrett eine umweltfreundliche Zukunftsstadt mitten in der Wüste: Masdar City, 16 Kilometer von Abu Dhabi entfernt. Ihre Idee: Das weltgrößte Solarkraftwerk versorgt die gesamte Stadt und aller Müll wird einem perfekten Recyclingkreislauf zugeführt. 50000 Menschen leben auf sechs Quadratkilometern, ihr Energiebedarf pro Kopf beträgt nur ein Viertel des Durchschnitts bei neutraler CO2-Bilanz. Ein "Personal Rapid Transit", ein System führerloser, automatisierter Kabinen, bringt jeden Bürger unterirdisch auf mindestens 200 Meter an das nächste Gebäude – Autos sind demnach überflüssig. Kein Wunder, dass es dieser Vision nicht an Vorschusslorbeeren mangelte.

Realität: Eigentlich hätte das Projekt 2016 nach acht Jahren Bau abgeschlossen sein sollen. Nun ist die Fertigstellung für 2030 geplant. Aktuell steht die Stadt bestens halb fertig da. Gerade mal 2000 bis 3000 Menschen leben dort. Der Personal Rapid Transit fährt nur zu Demonstrationszwecken. Daher mögen die Bewohner nicht auf Autos verzichten. Folglich müssen mehr Straßen und vor allem Garagen gebaut werden, die nicht geplant waren. Zahlen zur CO2-Bilanz und zur Stromeinsparung wurden noch nicht publik gemacht.

Fazit: Bei der Planung wurden die Menschen schlicht vergessen. Es mag umweltfreundlich sein, in einer Wüstenstadt möglichst eng zu bauen, um viel Schatten zu haben und sich vor allem unterirdisch zu bewegen, um die natürliche Kühlung auszunutzen. Attraktiv für Menschen ist das aber offenbar nicht. Das Projekt ist auch an seiner Riesenhaftigkeit gescheitert: Die Kosten für die aus dem Boden gestampfte Stadt, in der die gesamte Infrastruktur mit Hightechzubehör wie intelligenter Gebäudesteuerung ausgestattet ist, nahmen überhand. Sie beliefen sich schließlich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.

(Bild: Trabantos / Shutterstock)

Vision: Die spanische Hafenstadt Santander wurde 2010 zum EU-geförderten Smart-City-Labor. 20000 Sensoren installierte die Universität von Kantabrien in der 180000-Einwohner-Stadt. So melden sich freie Parkplätze bei Autofahrern via App, der Stadtpark gibt im Rathaus Bescheid, wenn die Erde zu trocken ist, und große Kreuzungen schlagen Alarm, wenn Schadstoffe oder Lärm überhand nehmen. Die Straßenbeleuchtung schaltet sich nachts automatisch ab, wenn niemand zu sehen ist. Polizeiwagen, Taxis und Busse sind mit datensammelnden Geräten ausgestattet. Wetterinfos, Luftqualität, Lärmbelastung, Verkehrsdichte, Lichtverhältnisse – alle für den Bürger nützlichen Daten landen im Zentralcomputer.

Realität: Trotz technischer Aufrüstung spricht heute kaum noch jemand von Santander als Smart City. Die Müllabfuhr fährt laut der spanischen Gewerkschaft UGT nach wie vor die alten Routen, weil die Sensoren zu unzuverlässig sind. Ähnlich die Ampelschaltung – die Koordination läuft nach wie vor meist per Telefon, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zudem fürchten die städtischen Mitarbeiter Kontrolle: So erhielten die Müllmänner neuerdings Mobiltelefone von ihrem Arbeitgeber, der sie damit bei der Arbeit dank GPS-Tracking überwacht.

Fazit: Zwar ging der Ansatz von den Bedürfnissen einer Stadtverwaltung aus und weniger von denen eines Technikkonzerns. Doch eines wurde auch hier übersehen: Die Bewohner und die betroffenen Berufsgruppen selbst zu fragen, was sie sich von einer Smart City erhoffen. Dadurch hatten sie keinen Bezug zu dem Projekt. Ein weiteres Problem: Eine vierjährige EU-Förderung und unzählige Sensoren genügen nicht, sondern ein solches System braucht Wartung. So hatten die Verantwortlichen etwa bei der Müllabfuhr, einem großen Posten im Stadthaushalt, mit Einsparungen von bis zu 30 Prozent durch optimierte Routen gerechnet – was eindeutig an der Realität vorbeiging.

(Bild: Danita Delimont u. Walter Bubikow7 Interfoto)

Vision: Die Portlands, ein Hafengebiet östlich der Innenstadt von Toronto, ist eine der neuesten Smart Cities – noch nicht fertig, doch ihr Ruf eilt ihr voraus. Die Google-Tochter Sidewalk Labs arbeitet mit der Stadt zusammen, um ein knapp 50000 Quadratmeter großes Viertel in eine Smart City zu verwandeln. "Wir wollen ein Vorbild für die Welt sein", sagt Sidewalk-Labs-Spitzenmanager Rohit Aggarwala der "Wirtschaftswoche". Durch Vernetzung solle alles effizienter werden: Ampeln schalten nur dann auf Grün, wenn sich ein Fußgänger nähert; Patienten und Kunden erfahren in Echtzeit, wie voll das Wartezimmer beim Arzt und wie lang die Schlange im Supermarkt ist. Die Fahrpläne der Straßenbahn richten sich nach dem aktuellen Bedarf – jede Fahrt und jeder Fahrgast wird getrackt. Autonome Großtaxis befördern die Bewohner, private Fahrzeuge gibt es kaum noch. Roboterautos holen den Müll unterirdisch ab, Drohnen bringen Pakete. Während die Stadt, Bundesstaat und Bundesregierung 800 Millionen Euro investieren wollen, schießt Sidewalk Labs in der ersten Projektphase 50 Millionen US-Dollar zu.

Realität: Die künftigen Bewohner protestieren bereits jetzt, da sie der Google-Tochter nicht trauen. Wo werden all die Daten gespeichert, was wird sonst damit gemacht, fragen sie. Zu Recht, schließlich beruht das Geschäftsmodell des Digitalkonzerns darauf, Daten zu Geld zu machen. Die wenigsten wollen Google verraten, wann und wie lange sie bei welchem Arzt waren. Fußgänger sorgen sich, dass Sidewalk Labs von ihnen Bewegungsprofile erstellt und die Daten für personalisierte Werbung nutzt.

Fazit: Google hat aus der Smart-City-Geschichte zwar vieles gelernt, aber offenbar doch nicht genug. Einerseits gibt der Konzern diesmal vor, sich nach den Bedürfnissen der Bürger zu richten und alles passgenau aufeinander abzustimmen. Die Antwort auf die Datenfrage aber bleiben die Verantwortlichen bislang schuldig.

(bsc)