Fake Food

Der deutsche Staat baut weltweit als Erster eine riesige Datensammlung auf, um gefälschte Lebensmittel aufspüren zu können.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Fake Food

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Susanne Donner

In Belgien schlossen die Polizisten vor wenigen Monaten eine Fabrik, die Gammelfleisch und Tierfutter zu Hackfleisch für Supermärkte verarbeitete. In ganz Europa zogen Fahnder zur selben Zeit Dutzende Thunfischprodukte aus dem Verkehr, die Fabriken mit aufwendigen lebensmitteltechnologischen Methoden rot gefärbt hatten, um sie als frische Ware zu verkaufen, obwohl der Fisch bereits alt war. Auch in Deutschland waren 15 von 207 Proben auf diese Weise geschönt.

Das sind nur zwei Erfolge der Kampagne "Opson", mit der die europäische Polizeibehörde von Dezember 2017 bis März 2018 gegen Lebensmittelbetrüger vorging. Die Fahnder beschlagnahmten mehr als 3600 Tonnen Esswaren und knapp zehn Millionen Liter Getränke. "Das In-Verkehr-Bringen von gefälschten und minderwertigen Lebensmitteln ist ein Riesengeschäft", lautet das Fazit von Europol.

Die Warenströme der Lebensmittelwirtschaft werden immer umfangreicher und weltumspannender. Betrügern eröffnet das neue Einfallstore. An dem organisierten Betrug sind mittlerweile ganze Banden und auch die Mafia beteiligt. Käse, der keiner ist, billig gestreckter Saft, Honig, der mit Zuckersirup aufgegossen wird, Oregano auf Basis von Olivenblättern – es gibt kein Lebensmittel, das nicht verfälscht wird. Und dann natürlich der Trick, konventionelle Lebensmittel als Bioware auszugeben. "Mit den drei Buchstaben ,Bio' haben sie auf einmal eine sprunghafte Wertsteigerung", erklärt Pablo Steinberg, Präsident des Max Rubner-Instituts in Karlsruhe, die besondere Sogwirkung der Ökolabels.

Das ist nicht nur ein Betrug am Verbraucher, es kann auch Marktmechanismen aushebeln: Mit ihrem Kaufverhalten beeinflussen Kunden das Warenangebot. Doch ihre Entscheidungen beruhen auf dem, was Hersteller und Anbieter über ihre Produkte angeben, etwa auf dem Etikett. Stimmen diese Informationen nicht, stammen die vermeintlichen Bio-Eier beispielsweise aus Legebatterien statt aus Freilandhaltung, werden die Konsumenten nicht nur an der Nase herumgeführt. Sie werden ihrer Marktmacht beraubt.

Längst besteht ein ständiger Wettlauf zwischen Betrügern und Behörden. Die Ämter werden allerdings bisher meist erst dann aktiv, wenn ein Skandal schon ruchbar wird. Dabei könnten sie sich einen technologischen Vorsprung verschaffen. Private Prüflabore tun das längst: Der Laborgerätehersteller Bruker wie auch die Analytikdienstleister Eurofins und Agroisolab testen seit Jahren im Auftrag der Industrie Lebensmittel.

Derzeit legen sie Zigtausende Datenprofile für echte Lebensmittel an. Denn der Fingerabdruck eines Orangensafts oder das Olivenöl eines Herstellers unterscheidet sich von allen anderen Produkten. Fälschungen sind so ohne aufwendige Ermittlungen oder Whistleblower aus der Branche zu entdecken.

Die Firmen setzen vorwiegend auf das sogenannte NMR-Profiling, die hochauflösende Kernspinresonanzspektroskopie. Die Technik erlaubt, in nur drei Minuten von einer flüssigen Lebensmittelprobe eine Analyse zu machen, die zeigt, welche Atomkerne zu welchen Anteilen darin enthalten sind. Dieses Profil gleicht einem Barcode und ist für viele Lebensmittel charakteristisch. Deshalb hält beispielsweise das US-Unternehmen Bruker viele Zehntausende NMR-Profile von Säften, Weinen, Ölen und Honigen bereit. Durch Abgleich der Datenmuster können die Labormitarbeiter des Instituts im Auftrag der Nahrungsmittelerzeuger wöchentlich neue Fälschungen aufdecken.

Nun wollen endlich auch die staatlichen Stellen aufrüsten. Als weltweit erste Behörde plant das Max Rubner-Institut, Datenprofile gezielt zu sammeln. Dafür wird dort seit dem vergangenen Jahr ein Nationales Referenzzentrum für authentische Lebensmittel aufgebaut. "Mit diesem Echtheitsnachweis wären wir der Fälschungsindustrie erstmals voraus", sagt Reiner Wittkowski, Lebensmittelchemiker und Vizepräsident des Berliner Instituts für Risikobewertung. "Wir könnten jede Art der Fälschung viel schneller und einfacher finden als heute."

Denn Prüfungen in privaten Händen haben Grenzen, wie die Diskussion um Medizinprodukte zeigt. Dort überwachen Unternehmen, darunter der TÜV, seit Jahren die Zertifizierungen von Implantaten und Geräten – mit dem Ergebnis, dass die Kontrollen oft nicht gründlich genug waren. So bekamen 400.000 Frauen weltweit mit Industriesilikon gefüllte und damit minderwertige Brustimplantate, die für sie gesundheitsschädlich sein können. Privatwirtschaftliche Nahrungsmittelprüfer sind noch dazu von der Lebensmittelindustrie abhängig, und ob es dabei immer um den Schutz der Konsumenten geht, ist zumindest nicht garantiert.

Um das zu ändern, laufen zum einen hinter den Kulissen Verhandlungen mit der Industrie, wie der Direktor des Max Rubner-Instituts Pablo Steinberg durchblicken lässt. Die Behörden wollen deren Daten zum NMR-Profiling nutzen. Die Methode ist zumindest bei flüssigen Lebensmitteln wie Öl, Honig, Saft oder Wein unschlagbar schnell und aussagekräftig und der Vorsprung der privaten Prüflabore beim Datensammeln nicht mehr einzuholen. Im Gegenzug wollen die Firmen Behördendaten erhalten. "Juristen machen sich derzeit Gedanken, was möglich ist", sagt Steinberg.

Zum Zweiten sollen die Daten aus den Bundesländern vereint werden. Denn viele Landesbehörden besitzen bereits die Fingerabdrücke verschiedenster Lebensmittel, etwa für Öle. "Es macht keinen Sinn, das Rad neu zu erfinden", sagt Steinberg. Und drittens wollen die Behörden neue Prüfverfahren etablieren. "Je nach Lebensmittel werden wir auf andere Methoden zurückgreifen, die zu einer eindeutigen Signatur führen", sagt Steinberg.

Um die Maßnahmen umzusetzen, stellte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in der vorigen Legislaturperiode zwei Millionen Euro in Aussicht. Noch ist der endgültige Beschluss über die Höhe des Budgets nicht gefallen. Aber sobald er steht, können sich Lebensmittelfälscher auf harte Zeiten gefasst machen.

Die Forscher in den Überwachungsbehörden der Bundesländer und am Max Rubner-Institut haben bereits beispielhaft gezeigt, was möglich ist. Milchspezialist Joachim Molkentin hat Methoden entwickelt, mit denen er Biomilch von konventioneller Milch und daraus hergestellten Produkten unterscheiden kann. Biomilch enthält mehr alpha-Linolensäure, weil die Kühe auf der Weide grasen, statt Kraftfutter zu fressen.

Der Anteil an alpha-Linolensäure liegt in der Bioware meist bei mehr als 0,5 Prozent. Dagegen steckt in konventionellen Milcherzeugnissen mehr von einem bestimmten Kohlenstoffatom, dem Isotop der Sorte 13, was daran liegt, dass diese Kühe hauptsächlich Mais als Futter erhalten. Beide Werte verändern sich mit der Jahreszeit, sind aber charakteristisch für die Wirtschaftsweise und manchmal sogar für den jeweiligen Hof.

Als Molkentin 56 verschiedene Milchprodukte untersuchte, stieß er auf knapp ein Dutzend Proben, die sowohl beim alpha-Linolensäure-Gehalt als auch bei der Menge des Kohlenstoffisotops 13 Auffälligkeiten zeigten und damit mutmaßlich Fälschungen waren. Unter anderem fand er Hinweise darauf, dass manche Molkereiprodukte, die unter dem Label "Bio" liefen, mit konventioneller Milch gestreckt zu sein schienen. Seine bisherige Nachweismethode ist für diese Art von Betrug allerdings wenig geeignet. "Dafür bedarf es ganz neuer Verfahren", sagt Molkentin. "Aber wir sind dabei, sie zu entwickeln."

Für andere Praktiken hat er dagegen bereits Methoden in petto: Billiges Pflanzenfett in Käse kann er erkennen, seit 2009 die Diskussion über Analogkäse hochkochte. Dazu analysiert er die Fettzusammensetzung. Molkentins Testpalette verrät zugleich, aus welchen Daten sich der Fingerabdruck eines echten Goudas oder eines echten Fruchtjoghurts zusammensetzt: Ausschlaggebend ist, in welchen Mengen alpha-Linolensäure und das Kohlenstoffisotop 13 auftreten und welche Bestandteile das Fett enthält.

Bei Fisch und Meeresfrüchten bewährten sich die DNA-Codes. Als Mitarbeiter des Max Rubner-Instituts in 24 Restaurants in Bremen, Hamburg, Frankfurt und Berlin Seezunge bestellten, verriet ihnen die Genanalyse, dass in der Hälfte der Fälle ein anderer Fisch serviert wurde. Oft kam der billigste aller Meeresfische, der Pangasius aus Zuchtfarmen in Vietnam, auf den Tisch. Zweimal konnten die Biologen die Art nicht einmal bestimmen, weil sie unbekannt war. Diese Mogelei kann gefährlich sein: Denn manche Fischarten sind für den Menschen unbekömmlich oder gar giftig.

(bsc)