Will man wissen, ob man an einer Erbkrankheit leidet?

In Großbritannien verklagt eine Frau die Ärzte ihres Vaters. Sie hatten ihr dessen Huntington-Diagnose verschwiegen. Daher wusste sie nicht, dass auch sie Trägerin der Erbkrankheit sein könnte.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Inge Wünnenberg

Die Huntington-Krankheit wurde bereits 1872 von dem amerikanischen Arzt George Huntington beschrieben. Sie gehört zu jenen seltenen Erbkrankheiten, für die es leider bis heute keine Heilung gibt. Bricht sie im Laufe des Lebens aus, sterben Patienten innerhalb von zehn bis 25 Jahren, weil die Nervenzellen im Gehirn nach und nach zerstört werden. Mittlerweile ist zwar ein Medikament in der Entwicklung, wie das Medizinernetzwerk DocCheck berichtet. Aber es bleibt abzuwarten, ob die Arznei wirklich die Produktion des schadhaften Proteins reduzieren kann.

So ist seit 1993 der Gendefekt bekannt, der die Huntington-Erkrankung auslöst, weil er dazu führt, dass dieses fehlerhafte Eiweiß gebildet wird. Diagnostiziert werden kann die Krankheit zwar ebenso anhand von neurologischen und psychiatrischen Untersuchungen. Unzweifelhaft bestätigt werden kann die Diagnose aber auch durch eine molekulargenetische Untersuchung, die das veränderte Gen nachweist.

Solch ein Gentest kann ebenso bei Personen vorgenommen werden, die aufgrund von erkrankten Angehörigen selbst Träger des Gens sein könnten. Auf der Webseite der Deutschen Huntington-Hilfe wird aber darauf hingewiesen, dass diese Vorhersagediagnostik eine "erhebliche psychische und soziale Tragweite" besitzt. Deshalb hätten die Internationale Vereinigung der Huntington-Selbsthilfeorganisationen (IHA) und der Weltverband der Neurologen (WFN) Richtlinien für diese sogenannte prädiktive Diagnostik erarbeitet: Gemäß diesen Prinzipien soll weder bei Minderjährigen noch auf Wunsch Dritter – also Partner, Eltern, Ärzte, Versicherungsgesellschaften, Arbeitgeber oder Adoptionsstellen – eine genetische Untersuchung durchgeführt werden. Denn wie und wann die Krankheit ausbrechen wird, lässt sich nicht vorhersagen.

Andererseits ist es für alle Betroffenen, die vielleicht den Ausbruch der Krankheit in ihrer Familie miterlebt haben, eine große Bürde, zum einen Träger der Krankheit zu sein und sie darüber hinaus eventuell weiter an die eigenen Kinder zu vererben. Da wundert es nicht, dass der Tageszeitung The Guardian zufolge jetzt in Großbritannien eine Frau vor Gericht klagt, weil sie von den Ärzten nicht rechtzeitig über die Krankheit ihres Vaters unterrichtet worden ist.

Bei dem Vater war 2009 Chorea Huntington diagnostiziert worden, nachdem er zwei Jahre zuvor seine Frau erschossen hatte und deshalb verurteilt worden war. Die Ärzte des St. George's Hospitals in London forderten ihn nach der Huntington-Diagnose auf, seiner Tochter über seinen Gesundheitszustand und ihr Risiko, ebenfalls Trägerin der Krankheit zu sein, Bescheid zu geben. Aber er verweigerte diese Information aus Angst, seine Tochter würde das Kind abtreiben, das sie damals erwartete. Mittlerweile erhielt die Tochter ebenfalls eine prädiktive Diagnose der Huntington-Krankheit und muss nun damit leben, dass ihr eigenes Kind eventuell ebenfalls betroffen ist.

Zunächst hatte der High Court die Klage der Frau schon niedergeschlagen, weil das Gericht fürchtete, das Ergebnis könne künftig das Verhältnis zwischen Arzt und Patient unterminieren. Nun aber hat das Berufungsgericht diese Entscheidung aufgehoben: Nächstes Jahr wird vor dem High Court verhandelt. Für diverse Genetiker und Ethiker scheint dem Guardian zufolge eine Änderung der medizinischen Praxis ohnehin unvermeidlich zu sein. Mit dem Szenario, das jetzt zu der Klage führte, hätten die betroffenen Ärzte vielleicht in der Tat anders umgehen sollen. Da ist wohl eine Überarbeitung der Rechtsprechung notwendig, um den Interessen der Betroffenen langfristig gerecht zu werden. Am Ende wird klar, welch große Verantwortung und welch immensen Entscheidungsdruck die Genomsequenzierungen mit sich bringen werden, die schon in naher Zukunft Routine in den Arztpraxen sein werden.

(inwu)